Nummer 195: Epochen- und grenzübergreifende Lösung für den Bahnverkehr um Etwashausen –
Etwashausen, 9. Dezember (Eigener Bericht) Mindestens zwei Lokomotiven der deutschen Elektrolokomotiv-Baureihe E 32 sind nach dem Zweiten Weltkrieg möglicherweise in die französische Zone des ehemaligen Deutschen Reiches gekommen. Das haben Recherchen des Investigativteams der „Etwaigen Nachrichten“ im Nachgang zu dem Bericht über das „Alte Haus“ in Etwashausen ergeben, der auf bemerkenswerte Resonanz in der Modellbahnwelt gestoßen ist.
Eine der beiden umgebauten E 32-Lokomotiven im Güterbahnhof Etwashausen. © Etwaige Nachrichten
Es ist Genovevas begnadeter Kommunikationsfähigkeit zu verdanken, dass das Team um Reporterlegende Fritz P. so schnell in noch unerforschte Tiefen der deutschen Eisen- und Modellbahngeschichte vorgedrungen ist. Als sie einem alten Freund aus Südwestdeutschland von der Restaurierungsfeier des „Alten Hauses“ und dem dabei veröffentlichten historischen Filmmaterial mit dem Bordeaux-Weinzug erzählte, erinnerte dieser sich an eine Begegnung aus der unmittelbaren Nachkriegszeit.
„Damals hat er in einem fast ausgebombten Reichsbahn-Ausbesserungswerk (Raw) am Rande des Schwarzwalds zwei Lokomotiven gesehen, auf die die Beschreibung passt“, sagte Genoveva, als sie Fritz P. berichtete. Fritz roch eine gute Geschichte dahinter und machte einen Termin mit dem Mann aus. Dieser, pensionierter Anästhesist einer Trinkerheilanstalt und Eisenbahnfreund, wollte zwar weder seinen eigenen noch den Namen der Stadt mit dem Raw genannt wissen, aber: „Die Geschichte klingt so abenteuerlich und gleichzeitig halbwegs plausibel, dass die EN sie ausnahmsweise trotz dieser Anonymität veröffentlichen“, erklärte Fritz. “Fragen Sie bitte nicht nach den Anteilen von Dichtung und Wahrheit.” Schließlich sei sie ein passendes Beispiel für den international bekannten Leitspruch Etwashausens: „Wo Epochen sich treffen – Where ages meet“.
Kurzerhand requiriert
Um die Anonymität von Person und Ort zu wahren, trafen sie sich in einem gut besetzten Gasthaus der Göppinger Innenstadt. Mit Ausnahme der genannten Einschränkungen war der Mann recht auskunftsfreudig. „Die Arbeiter waren durchweg Franzosen. Als bekennender Freund der großen und kleinen elektrischen Eisenbahn“, sagte er, der zur Freude der Arbeiter auch noch Französisch sprach, „kam ich mit ihnen und letztlich auch mit ihrem Chef ins Gespräch.“ Sie erzählten ihm, dass diese zwei Lokomotiven offiziell im Krieg verloren gegangen und abgeschrieben worden seien. Ihr Chef, Colonel Louis Dujardin, habe sie bei einer Konferenz über die Wiederertüchtigung der im Krieg zu weiten Teilen zerstörten deutschen Bahnanlagen in München „in beklagenswertem Zustand“ zwischen den Trümmern entdeckt. „Die restaurieren wir nicht mehr“, habe es geheißen.
Da habe Dujardin, im Zivilberuf Eisenbahningenieur, sie kurzerhand für die französischen Truppen requiriert und in das besagte Ausbesserungswerk schaffen lassen, in dem französische Soldaten, zivile Arbeiter und deutsche Kriegsgefangene die Maschinen der Reichsbahn soweit möglich für den Betrieb fit hielten.
Die E 32 alias 132 mit Schrägstange, wie sie aus dem deutschen Alltagsbetrieb bekannt ist.
© Foto: C. Voigt
„Den Dujardin hat interessiert, ob der relativ störanfällige Schrägstangenantrieb nicht durch andere Getriebemöglichkeiten ersetzt und den Lokomotiven damit eine Zukunftsperspektive gegeben werden könnte“, berichtete der Mediziner. Schließlich könnten es die Schweden ja auch. Im Norden Europas waren seit den 1920-er Jahren Lokomotiven mit der Achsfolge wie die E 32, aber mit Getrieben ohne Schrägstangen in Betrieb. „Deshalb wollte er sie demontieren und untersuchen lassen und gegebenenfalls mit einem neuen Getriebe wieder aufbauen.“
Die schwedische Elektrolokomotive Typ Da. Sie kam ohne Schrägstangen aus. © Etwaige Nachrichten
Tatsächlich gelang es, nach dem Muster der schwedischen Lokomotiven neue Getriebe einzubauen, die ohne die schrägen Stangen auskamen. Alles musste relativ heimlich geschehen, jedenfalls bis der Erfolg des Unternehmens gemeldet werden konnte. „Eine Erklärung gegenüber den vorgesetzten Dienststellen, warum man ziemlich abgewrackte deutsche Loks aufwändig wiederherstellte, wäre wohl doch ziemlich schwer gefallen“, mutmaßte der Informant. „Da drohten Dienstaufsichtsverfahren.“ Aber schließlich klappte es doch, und die französische Besatzungsmacht war erleichtert, auf dem westdeutschen Netz passende Elektroloks zur Verfügung zu haben, auch wenn sie kein blau-weiß-rotes Hoheitszeichen trugen.
Absichtliches Verwirrspiel mit Betriebsnummern
Von absichtlichem Verwirrspiel geprägt ist auch die Nummerierung der beiden Lokomotiven, die für leichte Personenzüge ausgelegt waren. Man wollte die Requirierung anfangs geheimhalten. Eine Maschine hatte bei ihrer „Einlieferung“ die Betriebsnummer E 32 14. Dujardin ließ sie, als die Soldaten und Arbeiter unmittelbar nach Ende des Krieges mehr Zeit hatten, wieder in der braunen Farbgebung herrichten, die sie bei ihrer Auslieferung hatte. Er teilte ihr allerdings die bayerische Nummer 20 013 zu, deren ursprüngliche Trägerin nach dem Krieg als E 32 107 in Oberbayern und Schwaben in Betrieb war.
Mit der zweiten Maschine gab es zunächst Probleme, da sich einige Räder von den Achsen gelöst hatten. Es war die Ep2 20 021. Besonders ihre Karosserie hatte bei der Bombardierung der E-Lok-Halle 1943 im Münchener Hauptbahnhof stark gelitten, konnte aber dank professioneller Hilfe unter anderem aus Berlin, samt Fahrwerk instand gesetzt werden. „Aus einer Schnapslaune heraus“, zitierte der Informant den Franzosen aus dem Gedächtnis, „ließ Dujardin die Lok im Fotoanstrich lackieren, wie ihn manche werksneuen Loks vorübergehend bei Präsentationen erhielten.“ Als Betriebsnummer teilte er ihr die E 32 18 zu. Die wirkliche E 32 18 hatte 1936 die Nummer E 32 103 erhalten, als sie für eine Reisegeschwindigkeit von 90 km/h (vorher 75 km/h) ertüchtigt worden war. Sie zog weiterhin mit Schrägstangen in Süddeutschland Personen- und, wenn es sein musste, leichte Güterzüge.
Die zweite umgebaute Lokomotive. © Etwaige Nachrichten
„Deshalb wurden bei dem Weinzug auch beide Loks in Doppeltraktion verwendet“, sagte der pensionierte Arzt. Er selbst habe als Kind solche Weinzüge, wie sie der im „Alten Haus“ entdeckte Film zeigt, aus dem Elsass in das zerstörte Deutschland fahren sehen. „Die Waggons waren drüben ja reichlich vorhanden.“ Mit ihnen wurden die Weinrationen für die Soldaten durchs Land in Kasernen und Lazarette und an die Fronten transportiert.
Interesse vom Nebentisch
Je weiter der Informant mit seiner Geschichte kam, um so aufmerksamer wurden zwei junge Männer, die in der Göppinger Kneipe am Nebentisch saßen. „Dürfen wir uns zu Ihnen setzen?“, fragten sie schließlich, nicht ohne sich zu entschuldigen, weil sie das Gespräch mitgehört hatten. Sie stellten sich als Mitarbeiter einer Firma für feine Metallspielwaren vor. „Wir produzieren hauptsächlich elektrische Eisenbahnen“, sagte einer von ihnen. Genoveva, Fritz und der pensionierte Arzt waren sofort Feuer und Flamme. „Das ist ja wahnsinnig interessant, dass es Lokomotiven der Baureihe E 32 gegeben hat, die ohne die Schrägstangen ausgekommen sind.“
Wieso das für einen Hersteller kleiner Eisenbahnen so interessant sein könnte, fragte der Anästhesist. „Ja, sehen Sie, die Entwicklung einer neuen Modelleisenbahnlok kostet eine Menge Geld. Das lässt sich reduzieren, wenn man Teile bereits vorhandener Produkte in die Fertigung mit einbezieht.“ Fritz warf ein, das höre sich ja an wie bei der großen Bahn, wo bei den Dampfloks nach dem Ersten Weltkrieg ebenfalls Einheitsbaureihen geplant und erfolgreich gebaut worden sind, bei denen es darum ging, möglichst viele Teile so zu gestalten, dass sie zwischen verschiedenen Baureihen austauschbar sind.
„Ja, es ist dasselbe Prinzip“, sagte der ältere der beiden Mitarbeiter. „Wir haben nämlich schon eine Lok mit einem Fahrwerk, das zu der E 32 passen würde.“ – „Lassen Sie mich raten: von der schwedischen Lok?“, fragte der Arzt. “Genau“, antwortete der Mann. „Beide Loks sind sogar so gut wie gleich lang, nämlich 13 und 13,1 Meter. „Da lässt sich was machen“, meinte er.
Erste Testfahrten mit einem kurzen Weinzug verliefen erfolgreich.
hicks, da sind Ihrem Reporter wohl die (Wein)-Pferde durchgegangen… – oder sind das die loks, die im 2. Weltkrieg in Skandinavien auf einem schiff versenkt wurden?
Jedenfalls danke für diesen “Schmarrn” in trüber Zeit!!!