Ärger über streikbedingte Wartezeit durch ungewohnten Komfort gelindert
Seltener Gast am Bahnhof
Etwashausen (Eig. Ber.) Ein InterCityExpress-Triebzug hat am Freitag außerplanmäßig am Etwashausener Bahnhof gehalten. Er brachte Fahrgäste aus der Hauptstadt mit, die eigentlich mit einem Regionalexpress hätten kommen sollen. Da der RE aber bestreikt wurde, fuhr der ICE kurzerhand einen kleinen Umweg von der Neubaustrecke herunter über die frühere Hauptstrecke und hielt in unserer Stadt.
Bahnhofsvorsteher Jakob Claus hatte seine Uniform angelegt und bemühte sich persönlich auf den Bahnsteig, um die Fahrgäste zu beruhigen. „Wir tun alles, um Sie zu informieren“, sagte er. Glücklicherweise war das Wetter ziemlich gut, so dass keine weiteren Katastrophenschutzmaßnahmen erforderlich wurden. „Wir wissen zwar noch nicht, wann genau, aber ich verspreche Ihnen, es wird ein Zug kommen“, sagte er immer wieder. Auch die Lautsprecheransage wiederholte im Zweiminutenabstand, dass sich die Ankunft des Nahverkehrszuges „wegen Arbeitskampfmaßnahmen“ auf unbestimmte Zeit verzögern würde.
Die Wartenden hatten teils schon eine Dreiviertelstunde am Bahnsteig verbracht. Die meisten von ihnen wussten aber schon, dass es an diesem Tag wegen des Streiks einiger Lokomotivführer nicht einfach werden würde. Schließlich kam aber doch ein Hoffnungsschimmer auf: Der Regionalexpress falle zwar aus, tönte es aus dem Lautsprecher, aber der ICE werde in Etwashausen einen Halt einlegen. Und tatsächlich, wenige Minuten später traf der elegante Zug dann auch ein. Es hätte nicht viel gefehlt, und die Wartenden hätten Beifall geklatscht.
Genoveva F., die nach Warstein zum Shoppen fahren wollte, wäre dem Lokführer fast um den Hals gefallen, als er für ein paar Sekunden aus dem Führerstand trat. „Und ich habe schon gedacht, ich komme da heute gar nicht mehr hin“, sagte sie. „So ein Streik ist doch ziemlich lästig. Warum streiken Sie eigentlich nicht?“, fragte sie ihn. „Ich bin Beamter“, sagte der Mann, und er wirkte nicht besonders glücklich. „Dabei könnte ich auch ein bisschen mehr Geld gebrauchen.“ Genoveva stimmte ihm zu. „Und jetzt wird auch noch der Schnaps teurer.“
Hedwig Munke, die Sachbearbeiterin im Katasteramt, hatte ebenfalls schon eine Weile mit einem Blumenstrauß am Bahnsteig auf ihren Ex- Schwager Gunnar Köster gewartet, der am Vortag überraschend seinen Besuch angekündigt hatte. Sie hatte sich extra fein gemacht, denn er hatte ihr schon immer gefallen. Insgeheim freute sie sich, dass sich ihre Schwester von ihm getrennt hatte. Als er dann aus dem weißen Zug stieg, war auch der ganze Ärger über das Durcheinander auf den Schienen verflogen. Jakob und die Lautsprecher-Ansagerin erklärten den ausgestiegenen Fahrgästen, dass sie sofort Anschluss auf Gleis 1 mit dem Personenzug nach Wildenranna hätten. Er habe extra gewartet, um die Passagiere aus dem verspäteten Zug noch aufzunehmen. Noch während er damit beschäftigt war, klingelte Jakobs Handy. Es war der Fotograf der „Etwaigen Nachrichten“ der sich beschwerte, dass er nicht rechtzeitig von der Ankunft des „Exoten“, wie er sich ausdrückte, informiert worden war. Jakob sagte, er könne den Zug, der ohnehin schon 50 Minuten Verspätung habe, nun leider nicht noch länger in Etwashausen aufhalten. Aber wenn er schnell aufs Dach des Kinos springe, würde er ihn sicher noch am Bahnsteig ablichten können. Der Bahnhofsvorsteher beendete das Gespräch und wechselte ein paar Worte mit dem Lokführer. Und so verzögerte sich die Abfahrt doch noch ein paar Minuten, und der Fotograf kam noch zu seinem Bild.
Unmittelbar danach schlossen sich aber die Türen des ICE, die Motoren drehten auf, und mit Getöse verließ er den Bahnhof von Etwashausen wieder. Natürlich durften auch diejenigen Wartenden ohne Aufpreis mitfahren, die sonst den Regionalexpress genommen hätten.
Hedwig und ihr Ex-Schwager waren um diese Zeit schon in der Hauptstraße. „Da vorne im ersten Stock wohne ich“, erzählte sie ihm, als sie auf der Höhe des Kinos waren. „Der Besitzer hat das Haus gerade renoviert. Er hat einen total auf englisch gestylten Tabakladen.“
„Aber wie kommt er damit über die Runden?“, wunderte sich Gunnar, „Wo doch das Rauchen jetzt überall unten durch ist?“ Er wolle Tee, Kaffee und Wein mit ins Sortiment nehmen, erklärte Hedwig. Und dann verschwanden sie im Haus.
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