Etwashausen bekommt einen Platz für die letzte Ruhe seiner Bürger
Etwashausen (Eig.Ber.) Eine große Zäsur steht der Stadt bevor: Die Koalition im Rathaus will einen Friedhof einrichten. Das erklärte Bürgermeister Wilhelm Meyer am Samstag im Rahmen eines Grußworts zur Vortragsreihe „Brüche im Etwashausener Raum-Zeit-Kontinuum“ im Konferenzsaal des Rathauses. Der Gottesacker soll nach Informationen der „Etwaigen Nachrichten“ auf der Brache hinter der Bücherei entstehen. Auch Dahingeschiedene der Nachbargemeinde Wildenranna können dann dort bestattet werden.
Gegen die Nutzungsausweitung hatte sich zunächst Protest der Bürgerpartei erhoben. Sie argumentierte, viele Leute aus Wildenranna vertrügen sich schon zu Lebzeiten nicht mit Etwashausenern. „Warum sollte das im Tod anders sein?“, fragte ein Stadtverordneter. „Weil die Toten schweigen“, murmelte ein grüner Abgeordneter. Schließlich machten sich alle das Argument von Bürgermeister Wilhelm Meyer zu eigen, mit der gemeinsamen Nutzung könnten die Kosten entscheidend reduziert werden.
Dazu komme, dass der „Totentourismus“, wie Meyer es nannte, dann ein Ende habe. Bisher werden verstorbene Etwashausener in Neustadt bestattet. Noch während der Stadtratssitzung wurde das am Beispiel des Rentners Alois Huber deutlich, dem der Pfarrer in der gegenüberliegenden Kirche die Totenmesse las. Unmittelbar danach wurden Hubers sterbliche Überreste nach Neustadt überführt.
Der Regionalbeauftragte der Bahn, Gerhard Schlupp, bedauerte zwar, dass seinem Unternehmen damit Transporte verloren gingen, räumte aber ein, dass auch er als Etwashausener dereinst lieber in seiner Heimatstadt begraben werden würde als mit dem „letzten Zug nach Neustadt zu fahren“.
Die philosophische Vortragsreihe über die oft schwer verständliche und hin und wieder sogar kritisierte Dialektik von Tradition und Moderne in Etwashausen wendet sich nicht nur an bildungshungrige Einwohner, sondern vor allem auch an Auswärtige. Sie wundern sich häufig, dass scheinbar inkompatible Sachverhalte in Etwashausen nicht nur vereinbar sind, sondern das harmonische Zusammenleben der Bürger sogar fördern. Die produktiven Spannungen, die beispielsweise daraus erwachsen, dass modernes Technik- und Umweltverständnis auf nostalgische Fortbewegungsmittel trifft, sollen ebenso erläutert werden wie die Frage, inwieweit sich Aufschwung und Wachstum mit dem ausgeprägten Trend zur Konservierung vertragen. Angesichts der nicht ganz leichten Zusammenhänge der Vortragsreihe war der Buchhändler Walter Schwielow doch erstaunt über die zahlreichen Teilnehmer. Nur der Bürgermeister hatte den Saal nach seinem Grußwort verlassen.
„Wie ich wollen immer mehr Leute wissen, auf welche Weise Etwashausen zu einem ganz besonderen Ort geworden ist“, sagte Genoveva F. anschließend zum Chef der „Bücherkiste“. Sie berichtete, wie die Witwe Huber vom Tod ihres Mannes erfuhr. „Sie wurde am Morgen vom Krankenhaus angerufen und fragte in ihrer bekannt forschen Art: ‚Na, wie geht’s meinem Mann? Lebt er noch?“ Da war der Arzt am anderen Ende der Leitung so verblüfft, dass er kurzerhand „Nein“ sagte. „Die alte Frau war völlig fertig. Als sie das erzählte, wusste ich, ehrlich gesagt, nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.“ Schwielow sagte nachdenklich: „Ja, es ist schwer, mit dem Tod umzugehen. Vielleicht hilft ja der neue Friedhof dabei.“
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