Nummer 74: Bernd Müller und das Kleineisen

Wie ein Streckengeher in die Mühlen der Bahnrevision geriet

Die Einsamkeit des Streckengehers. Von Menschen wie ihm hängt nach Ansicht der Innenrevision der Bahn nicht nur die Sicherheit unserer Schienenwege ab.

Etwashausen (Eigener Bericht) Streckengeher Bernd Müller ist in die Mühlen der Spionageabwehr bei der Bahn geraten. Wie die „Etwaigen Nachrichten“ erfuhren, wird ihm wirtschaftskriminelles Verhalten vorgeworfen. Der Regionalbeauftragte der Bahn, Gerhard Schlupp, bestätigte das und wertete es als Erfolg für das Unternehmen.

Die Bahn versuche seit Jahren, Transparenz und ordentliches Verhalten bei den Mitarbeitern durchzusetzen, sagte Schlupp. Namen wollte er unter Hinweis auf ein laufendes Verfahren nicht nennen. Endlich sei es gelungen, einen Täter dingfest zu machen. Der Delinquent soll mit einem Baustoffhandel in der Hauptstraße Geschäfte gemacht haben, durch die der Bahn wirtschaftliche Nachteile entstanden sein sollen. Konkret hat eine von der Bahn beauftragte süditalienische Detektei herausgefunden, dass vor zwei Jahren von dem Konto des Baustoffhandels 39,95 Taler auf das Konto des Streckengehers überwiesen wurden – „immerhin acht Stundenlöhne“, wie Schlupp betonte. Da der Baustoffhandel auch in Geschäftsbe- ziehungen mit der Etwashausener Bahn stehe, ergebe sich daraus fast zwangsläufig, dass es sich bei der Überweisung um eine unberechtigte Vorteilsannahme handele, sagte Schlupp nicht ohne Stolz gegenüber den „Etwaigen Nachrichten“. Der Ertappte werde die Konsequenzen zu tragen haben.
Müller selbst sagte beim Stammtisch im Dorfkrug, er habe eine Vorladung erhalten. Er sei total geschockt. „Ich kann mich nicht mehr an die Überweisung erinnern“, sagte er mit leicht gebrochener Stimme. „Aber ich habe nie etwas zum Schaden der Bahn getan. Nun muss ich eben meine Kontoauszüge sorgfältig durchsuchen.“ Reporterlegende Fritz P. versprach Müller, die Sache weiter zu recherchieren.
Schlupp erklärte, Adressen, Telefonnummern und Bankverbindungen der Bahnmitarbeiter seien von fleißigen sizilianischen Gastarbeiterinnen mit den jeweiligen Daten der Lieferanten abgeglichen worden. Wenn es da Verbindungen gegeben habe, sei weiter gesucht worden. Und so sei man auf diesen Fall gekommen.

Müller mit seinem Team bei der Überprüfung des Einfahrtsgleises zum Güterbahnhof.

Ein Streckengeher läuft auf den Schienen entlang und kontrolliert den Zustand der Strecken, insbesondere der Schwellen und der Schienenbefestigungen, der sogenannten Kleineisen. Oft ist er im Team mit einer Reparaturtruppe unterwegs, nicht selten aber auch ganz allein.
Schlupp mutmaßte, der Verdächtigte habe bei solchen Gängen möglicherweise mehr schadhaftes Material gemeldet als tatsächlich nötig gewesen sei,
und dadurch dem Baustoffhandel zusätzlichen Umsatz und Profit auf Kosten der Bahn verschafft. „Und die 40 Taler waren eben die Provision für den Kriminellen“, folgerte der Manager. Bahnkreise, die nicht genannt werden wollten, berichteten, es sei bereits eine Hausdurchsuchung beantragt worden. „Die sind überzeugt, dass sie da auch noch den einen oder anderen Schienennagel finden.“ Vielleicht habe er ja auch Bahnschwellen zur Gestaltung seines Gartens verwendet. Ein Antrag auf Haftbefehl sei allerdings mangels Verdachtsmomenten abgelehnt worden. Das wertete Schlupp als „das typische Misstrauen gegenüber der Bahn. Als ob wir irgendjemandem was Böses wollten“, brummte er kopfschüttelnd.

Bernd Müller (links) vor einem schweren Gang: Zur Anhörung in der Bahnverwaltung. In der Mitte EN-Reporterlegende Fritz P., rechts Heizer Martin Schell, der Personalratsbeauftragte.

Dann musste Müller in der Bahnverwaltung antreten. Er durfte immerhin einen Personalratsvertreter mitnehmen. Es war Heizer Martin Schell, das Eisenbahner-Urgestein. „Das kriegen wir schon hin“, tröstete er Müller, um dessen Mund schon wieder ein mysteriöses schelmisches Lächeln spielte. Reporterlegende Fritz P. musste vor der Tür warten.
Als Müller wieder herauskam, fiel er P. fast um den Hals. „Wieso freuen Sie sich denn so?“, fragte der. „Was glauben Sie, wie die rot geworden sind, als ich ihnen meinen Kontoauszug gezeigt habe.“ Müller stotterte vor Aufregung. „Die 40 Taler waren die Erstattung für eine kaputte Bohrmaschine, die ich zurückgegeben hatte.“ Schlupp war anschließend nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

... berichtet regelmäßig in den “Etwaigen Nachrichten” (EN) über die Ereignisse in Etwashausen. Sie erreichen Fritz P. per Elektronischer Post über das Kontaktformular oder über folgende Anschrift:

Reporterlegende Fritz P.
Etwaige Nachrichten
Hauptstraße / Markt
Etwashausen

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