Nummer 127: Das Ende der Kammermusik

Nach 94 Jahren geht den Künstlern der Nachwuchs aus

Bonjour Tristesse: Elena Krüger und Artur Demant verlassen Etwashausen mit dem Spätzug nach Neustadt. Zuvor haben sie das städtische Kammerorchester abgewickelt.

Etwashausen, 19. Dezember (Eigener Bericht). Das städtische Kammerorchester wird nie wieder neue Saiten aufziehen. Mangels Musikernachwuchs und offenbar auch wegen mangelnden Widerhalls in der Bevölkerung haben Elena Krüger und Artur Demant den Musikverein kurz vor seinem 95. Geburtstag aufgelöst. Anschließend verließen sie die Stadt.

„Kaum jemand wollte uns noch zuhören, obwohl  wir so schöne klassische Stücke im Repertoire haben“, klagte Krüger im Exklusivinterview mit den „Etwaigen Nachrichten“. Demant warf ein: „Man muss allerdings sagen, dass Du auf der Flöte auch nicht mehr das bist, was Du mal warst.“

Das wollte Krüger nicht gelten lassen. „Gut genug, um Werke von Friedrich dem Großen zu interpretieren, war es immer noch. Wenn da mal was falsch geklungen hat, lag das sicher nur an der Akustik der Kirche.“

Die meisten Konzerte der letzten Jahre fanden in dem altehrwürdigen Etwashausener Gotteshaus statt, das der Pfarrer den Musikern unentgeltlich zu Verfügung stellte. „Man muss allerdings ehrlich sagen, am Schluss kamen deutlich weniger Menschen zu den Konzerten als zum Gottesdienst“, sagte der Geistliche auf Anfrage der EN.

Krüger warf ihm vor, zu wenig Reklame dafür gemacht zu haben. „Es reicht einfach nicht, ein Plakat an die Kirchentür zu nageln“, meinte sie. Sie selbst habe keine Zeit gehabt, ihrerseits die Werbetrommel zu rühren, sagte sie im Interview

Genoveva F., die der Reporterlegende Fritz P. bei der Recherche half, fand allerdings heraus, dass auch beziehungsmäßig unter den Musikern nicht mehr die früher so gelobte Harmonie herrschte. Ein Gitarrist verdingte sich im Pavillon des Dorfkrugs, indem er sonntags beim Tanztee für Musik sorgte. Mario Anhalt, im Hauptberuf Seniorenbeauftragter des Stadtrats, verkaufte seine Pauke an den Alt-68er Klaus-Dieter Schulze-Hartnack, der sie seitdem zur akustischen Verstärkung seiner einsamen Demonstrationen in der Hauptstraße nutzt.

Darüber hatten sich die Mitglieder der Musikgruppe so sehr zerstritten, dass Krüger manchmal ganz alleine mit ihrer Querflöte vor dem Altar der Kirche stand und vor einer kleinen zweistelligen Zahl von Zuhörern ihre geliebten alten Stücke darbot.

Das städtische Kammerorchester wurde vom Urgroßvater Elena Krügers im 19. Jahrhundert gegründet, zunächst um die damalige allgemeine Begeisterung für die deutsche Nation mit den einschlägigen Liedern akustisch zu verstärken. Später wurde daraus ein Kaffeehausorchester, das in der Restauration spielte, in der heute Pits Spezialitäten-Café seinen Sitz hat. Da damals auch Jazz zum Repertoire gehörte, wurde es während der NS-Zeit verboten. Nach dem Krieg fanden sich einige der Musiker wieder zusammen, aber sie wollten nur noch klassische Musik machen. Ein Angebot von Pit, hin und wieder im Café aufzuspielen lehnten sie ab.

So kam es denn zunächst zu regelmäßigen, später zu immer selteneren Konzerten in der Kirche. Die Akteure wurden immer älter, und Nachwuchs fand sich angesichts des eingeschränkten Repertoires auch nicht. Lediglich ein neuer und jüngerer Trompeter gesellte sich mit Schaffner Erwin Dreher dazu. Auch seine musikalischen Künste werden den Etwashausenern erhalten bleiben. Er spielt jetzt in der Nähe des Bahnhofs auf der Straße. Im nächsten Jahr wäre das städtische Kammerorchester 95 Jahre alt geworden.

Schaffner Erwin Dreher spielt in seiner Frei-zeit Trompete auf der Straße. Der Dienstherr hat ihm eigenen Angaben zufolge ausdrücklich die Erlaubnis dazu erteilt.

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