Nummer 60: Endlich eine Karte aus dem Süden

Genovevas Ungeduld wird teilweise belohnt

Gut, dass Sommer ist: Morgens um sechs war Genoveva am Bahnhof, um die Ankunft des Postzuges abzupassen. Am Mittwoch wurde ihr Bemühen von Erfolg gekrönt.

Etwashausen (Eig.Ber.) Posthauptschaffner Bernd Klein hat eine neue Freundin: Geno- veva F. Sie steht seit gut einer Woche jeden Morgen um sechs Uhr am Bahnhof, wenn der Postzug kommt. Sie wollte wissen, ob Post für sie dabei war. Am Mittwoch wurde ihre Ausdauer belohnt.

Zunächst war Klein ungehalten, weil seine Routine unterbrochen wurde. „Ich kann doch hier nicht jeden Sack einzeln aufmachen“, beschied er Genovevas Frage abschlägig. Die junge Dame setzte aber ihr verführerischstes Lächeln und ihren bittendsten Blick auf und strapazierte das gute Verhältnis mit den Worten: „Aber wir kennen uns doch schon so lange.“
So ließ sich Klein doch erweichen. „Na, da wollen wir mal nicht so bürokratisch sein“, sagte der in jahrelangem Dienst ergraute Beamte. Schließlich sind es ja jeden Morgen nur vier Säcke für die fünf Straßenzüge von Etwashausen. Die lud er normalerweise in seinen Brezelkäfer und fuhr sie zur Poststelle im Gasthof zur Post, wo sich die provisorische Post von Etwashausen befindet. Nachdem Genoveva ihn erweicht hatte, suchte Klein den Sack des Marktplatzes durch, fand aber die ersten Tage nichts. Genoveva musste zur Arbeit gehen, ohne einen Gruß von Reporterlegende Fritz P . aus dem Urlaub erhalten zu haben.
P. war, wie berichtet, mit einem VW- Campingbus in den Süden gefahren, um diese neue Art des Campingurlaubs zu testen. Vor die Wahl zwischen geringerem Komfort im Vergleich zum Hotelurlaub und Zu-Hause-Bleiben gestellt, hatte sich Genoveva für Letzteres entschieden. Kaum war P. mit dem Bus aus der Stadt gefahren, hatte sie es aber auch schon bereut. Wenigstens ein bisschen“, hatte sie ihrer Freundin Hedwig Munke anvertraut.

Vor dem Gasthof zur Post macht Genoveva der Bedienung klar, dass sie nichts Alkoholisches trinken möchte.

Ihr klagte sie auch nach drei postkartenlosen Tagen wieder ihr Leid. „Eine Karte schreiben könnte er ja wenigstens“, sagte sie. Hedwig gab zu bedenken, dass P. vielleicht auch ein bisschen sauer gewesen sei, weil sie so kurzfristig abgesagt hatte. „Aber ich wusste doch nicht, dass er mit dieser engen Kiste da losfahren würde“, rechtfertigte sich Genoveva. „Was findest du eigentlich daran so schlecht?“, fragte ihre Freundin. „So eng, kein fließendes Wasser, kein Klo. Aber das Wetter ist da im Süden sicher besser als hier.“
Am Mittwoch war es dann so weit. „Gucken Sie mal, was ich hier habe!“, sagte Klein, als er aus dem Marktplatz-Postsack wieder auftauchte, und überreichte Genoveva eine
bunte Postkarte. „Provence“ stand da drauf, und als Motiv zeigte sie ein Lavendelfeld vor einem typisch südfranzösischen Landhaus. „Er hat mich doch nicht vergessen“, freute sich Genoveva.
Dann las sie die Karte. „Hallo Genny“, fing Fritz P. den Text an. Er hätte ruhig „Liebe …“ schreiben können, dachte sie. Neben den üblichen Grüßen und einer kurzen Wetterinformation stand darauf auch, dass der Wagen richtig gemütlich sei und „man darin nicht nur gut kochen, sondern auch bequem zu zweit übernachten kann“.
Argwöhnisch dachte Genoveva bei sich: „Wie meint er das? Woher weiß er das? Er wird doch nicht …?“ Fragen über Fragen, die erst nach seiner Rückkehr geklärt werden könnten.

Eine schöne Postkarte aus Südfrankreich. Der Inhalt stellte Genoveva nicht ganz zufrieden.

Abends verabredete sie sich mit Hedwig im Gasthof zur Post. Die Bedienung wollte sie erst gar nicht hineinlassen, weil sie sie noch als Alkoholikerin kannte, die mehr als einmal für Unruhe im Gastraum gesorgt hatte. „Aber ich bin seit Monaten trocken“, sagte Genoveva.
Als sie dann doch Platz nehmen durfte, schüttete sie der Freundin bei einem Glas Apfelschorle ihr Herz aus. „Nun warte doch erst mal ab“, beruhigte die sie. „Sei doch froh, dass er überhaupt geschrieben hat. Wenn er die große Liebe gefunden hätte, hätte er dir bestimmt keine Karte geschrieben.“ Vielleicht hast du recht“, entgegnete Genoveva. Doch ein mulmiges Gefühl im Magen blieb.

... berichtet regelmäßig in den “Etwaigen Nachrichten” (EN) über die Ereignisse in Etwashausen. Sie erreichen Fritz P. per Elektronischer Post über das Kontaktformular oder über folgende Anschrift:

Reporterlegende Fritz P.
Etwaige Nachrichten
Hauptstraße / Markt
Etwashausen

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