Nummer 68: Protest mit der Endscheibe

Wie ein Tabakladen Verspätungen im Zugverkehr verursacht

Wie kommt die Endscheibe in der Goethestraße? Ihr Verschwinden vom Bahndamm sorgte jedenfalls für einiges Durcheinander im Fahrplan und auf dem Bahnsteig.

Etwashausen (Eig.Ber.) Eine politische Demonstration in der Goethestraße hat am Samstag für etliche Verspätungen der Züge von und nach Etwashausen gesorgt. Unsicherheiten über eine Langsamfahrstelle beim Bahnpersonal waren die Ursache. Nichtraucher-Aktivisten hatten dieses Wirrwarr verursacht. Sie wurden erkennungsdienstlich behandelt und müssen mit Strafbefehlen rechnen.

Mehrmals wurde Fahrdienstleiter Klaus Neuerburg von Lokführern verständigt, dass die Endscheibe der Langsamfahrstelle unauffindbar sei. „Wie sollen wir uns denn jetzt verhalten?“, fragte Lokführer Wieland Hellmich. „In unserem Buchfahrplan steht drin, dass hinter der Goethekurve Schluss ist und wir wieder Dampf machen dürfen.“
Das wisse er auch nicht, sagte Neuerburg, „sicherheitshalber muss erst einmal langsam weiter gefahren werden. Man weiß ja nie, was hinter der nächsten Kurve lauert.“ Das war die Regel. Nur der Fahrdienstleiter konnte einen Befehl geben, der möglicherweise wieder Volldampf zugelassen hätte. Hellmich machte das einmal, zweimal, dann rief er die Polizei an. „Uns fehlt eine Endscheibe“, sagte er. „Wie bitte?“, fragte Obermeister Siegfried Rudolph. Hellmich erklärte ihm, was das ist: ein Schild mit einem großen E. Fährt ein Lokführer an ihm vorbei, weiß er, dass die Langsamfahrstrecke zu Ende (daher das E) ist und kann wieder bis zur Regelgeschwindigkeit beschleunigen. „Und die soll geklaut worden sein?“ Rudolph argwöhnte einen Scherz. Aber da gerade nichts anderes zu tun war, setzte er sich in seinen Streifenwagen und fuhr langsam durch die Stadt.
Am Bahnübergang der Hauptstraße musste er ziemlich lange warten, weil ein langer Güterzug ganz langsam durchfuhr. Aber weder nördlich noch südlich des Bahndamms sah er eine Endscheibe.
Unterdessen fuhr Hellmich wieder einmal an der Anfangsscheibe vorbei und reduzierte pflichtgemäß die Geschwindigkeit seines Abteilwagenszuges. „Aber hinter der Kurve fahre ich wieder schneller“, sagte er sich.

Hellmich fährt mit dem Abteilwagenzug an der A-Scheibe vorbei. Hier fängt die Langsamfahrstelle an.

Sein Zug war der einzige, der an diesem Tag pünktlich war. Neuerburg zog die Augenbrauen hoch, als er Hellmich im Bahnhof traf. „Eigentlich müsste ich davon eine Meldung machen“, sagte er.
„Wovon? Dass ich pünktlich war? So selten ist das ja nun auch wieder nicht.“ “Du weißt genau, was ich meine“, entgegnete Neuerburg. „Du bist einfach schneller gefahren, obwohl es keine Endscheibe zugelassen hat.“ „Das kannst du nicht beweisen“, grinste Hellmich. „Nein, aber es stimmt trotzdem.“
Rudolph war inzwischen an der Ecke Haupt- und Goethestraße angelangt. Vor Pits Café nahm er einen kleinen Menschenauflauf wahr. „Wenn ich schon keine Endscheibe finde, schaue ich wenigstens hier mal nach dem Rechten“, dachte er bei sich, hielt an und stieg aus.
Und da sah er die Endscheibe. Groß und hoch stand sie vor dem Werbeschild des neue eröffneten englischen Tabakwarenladens „Smoke Shop“. Vor der Tür standen Pit und zwei Männer, die Rudolph für Rucksacktouristen hielt. „Wie kommt denn dieses Schild hier hin?“, fragte Rudolph.
„Wir haben das da hingestellt“, räumte einer der beiden Männer freimütig ein. „Da staunste, was?“, sagte Pit. Die wollen…“ „…gegen den Zigarrenladen protestieren, weil Rauchen angeblich so gefährlich ist“, ergänzte einer der Männer mit leicht englischem Akzent. „Wir wollen ein Ende des Rauchens! Deshalb das Endeschild.“
„Aber Sie können doch nicht einfach eine Endscheibe vom Bahndamm mitnehmen! Pit“, wandte sich Rudolph an den Cafébesitzer, „hast du da die Finger drin?“
„Nö“, wehrte der ab, „mir ist das gar nicht unrecht, wenn die Leute sich hier nebenan gleich mit Zigaretten eindecken können.“ „Da muss ich Ihre Personalien aufnehmen“, sagte der Polizist. „Und Sie kriegen ein Verfahren.“ Dann rief er Neuerburg an und erzählte ihm von dem überraschenden Fund. Der Fahrdienstleiter erklärte ihm, die Langsamfahrstelle sollte eigentlich schon vor Wochen aufgehoben werden, wie er soeben in einem Telefonat mit der Bauabteilung herausgefunden habe. „Das ist wieder typisch“, meinte er, mir sagt ja niemand was. Aber die Verspätungen sind ihnen anscheinend ganz egal.“
Rudolph beauftragte Bauer Wolf mit seinem Bulldog, er solle einen Anhänger nehmen und die „Ende“-Scheibe zusammen mit dem „Anfang“-Schild in die Bahnmeisterei transportieren. Und fortan fuhren die Züge in Etwashausen wieder pünktlich.

Auf dem Weg zurück zur Bahnmeisterei – die Anfangs- und Endscheibe der Langsamfahrstelle.

... berichtet regelmäßig in den “Etwaigen Nachrichten” (EN) über die Ereignisse in Etwashausen. Sie erreichen Fritz P. per Elektronischer Post über das Kontaktformular oder über folgende Anschrift:

Reporterlegende Fritz P.
Etwaige Nachrichten
Hauptstraße / Markt
Etwashausen

Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.