Nummer 194: Historisches Filmmaterial bei Restaurierungsarbeiten entdeckt –
Etwashausen, 2. Dezember (Eigener Bericht) Bei Restaurierungsarbeiten am sogenannten „Alten Haus“ ist ein historischer Film aus der unmittelbaren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckt worden. Nach Angaben des Kulturdezernats belegt das erstaunlich gut erhaltene Material, dass nicht nur die Amerikaner dem zerstörten Westdeutschland wieder zu Wohlstand verholfen haben.
Luftaufnahme des restaurierten Mehrfamilienhauses. © Etwaige Nachrichten
Das Haus in der Hauptstraße 14 gegenüber der Farben AG „wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts gebaut“, erklärte Kulturdezernent Friedbert Dünger bei einer Pressekonferenz mit Bürgermeister Wilhelm Ulrich. Damit sei es, auch wenn es im Volksmund „Altes Haus“ genannt werde, deutlich jünger als einige der Fachwerkhäuser im Stadtkern. Zunächst dienten die Wohnungen als Unterkunft für Arbeiter des Chemiewerks. Unter anderem weil es aus Pappe war, wurde es im Krieg teilweise zerstört. Anschließend nutzte es die Stadt trotz des mangelhaften Zustands als Notunterkunft für Flüchtlinge aus dem Osten. Etliche Zimmer waren damals unbewohnbar, weil unter anderem das Dach des Frontgiebels in den Kriegswirren verschwunden war.
Nachdem die Vertriebenen sich integriert und andere Unterkünfte gesucht hatten, stand es jahrelang leer und verfiel zusehends. In dieser Zeit kam auch der Name „Altes Haus“ für das Gebäude auf. Schließlich fiel es weitgehend zusammen. Im Zuge der neuen „Wohnungspolitik der Nachhaltigkeit“ in Etwashausen entschied der Stadtrat vor zwei Jahren, das Haus nicht aufzugeben. Der sonst an solchen Stellen um sich greifende Vandalismus war glücklicherweise ausgeblieben. Auch der Keller stellte sich als unbeschädigt heraus. Jahrzehntelang hatte sich niemand um Zustand oder Inhalt der Räume gekümmert.
Die Architekten, die sich mit dem Wiederaufbau beschäftigten, ließen ein neues Giebeldach, ebenfalls aus fester Pappe, aufsetzen. Sie zogen über dem Erdgeschoss neue Deckenverstrebungen aus alten Visitenkarten ein und verschafften dem ganzen Gebäude damit neue Stabilität. Die Außenwände waren erstaunlicherweise kaum beschädigt, sodass der alte Rauputz weitgehend belassen werden konnte. Sogar die Blumenkästen vor den Fenstern waren drangeblieben.
Vielleicht ein neuer Laden
Standfestigkeit ist ja eines der Prinzipien in Etwashausen. Als die etwaigen Bastler sie dem Haus wieder vermittelt hatten, kam es an seinen angestammten Platz an der Ecke Hauptstraße/Siedlungsstraße. Bei einer ersten Besichtigung zeigte sich Ulrich zufrieden mit dem neuen Gebäude. „Es wird eine weitere Zierde für die Stadt werden“, sagte er.
Was mit den restaurierten Innenräumen geschieht, steht schon weitgehend fest. Im ersten Stock und im Giebel sollen gut ausgestattete Single-Appartements eingerichtet werden, die die städtische Wohnungsbaugenossenschaft vermieten will. Damit will sie sowohl dem steigenden Bedarf nach kleinen Mietwohnungen in der Stadt nachkommen. Genoveva zeigte bereits Interesse, als sie beim abendlichen Schoppen im benachbarten Dorfkrug von den Konzept hörte: „Da könnte ich endlich aus meiner viel zu großen Altbauwohnung in der Innenstadt ausziehen. Und zur Kneipe hätte ich es ja auch nicht weit.“ Im Parterre ist Platz für ein Ladengeschäft. Der Betreiber könnte in den angrenzenden Zimmern auch wohnen oder aber den Laden vergrößern, meinte Dünger.
Dezernent Dünger hatte aber noch eine besondere Überraschung parat: „Wir haben im Keller eine Menge altes Foto- und Filmmaterial gefunden.“ Leider lasse es sich bis jetzt keinem Besitzer zuordnen. „Aber wir sind noch voll in der Auswertung.“ Vieles sei erstaunlich gut erhalten. Er präsentierte einen Film, der „nach gewissen Restaurierungsarbeiten“ einen Zug zeigte, der auf der in den 1920-er Jahren errichteten und gleich elektrifizierten Fernbahntrasse entlang der Schutzmauer unterhalb des Bahnhofs Wildenranna fuhr.
Historische Doppeltraktion
„Dank umfangreicher Recherchen können wir heute sagen, dass der Zug aus Frankreich im Herbst 1945 in Richtung Nordosten unterwegs war.“ Es seien Aufzeichnungen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit gefunden worden, die vielleicht sogar mehrere Sonderzüge belegten, mit denen die französische Besatzungsmacht die Bevölkerung in den Westzonen mit Rotwein versorgte. Ein Colonel Dujardin in Calw, dessen Familie Wein in der Umgebung der südwestfranzösischen Metropole Bordeaux betrieb, habe das organisiert, sagte der Denkmalpfleger unter Berufung auf Nachfahren Dujardins.
Die Bereitstellung des Weins sei möglich geworden, weil die Soldaten nach dem Waffenstillstand ins Zivilleben zurückgekehrt seien und deshalb keinen Anspruch mehr auf die tägliche Ration Rotwein hätten. Einen Teil des freigewordenen Kontingents nutzte der Staat, um den Weinpreis zu regulieren, der Rest wurde als „französische Variante des Marshall-Plans“, wie es Dujardin ausgedrückt habe, in das zerstörte Deutschland geschickt.
„Die Geschichte der Hilfen aus ehemaligen Feindesländern ist also durchaus vielfältig“, sagte der Dezernent „Es wird sicher neue Studien über Ausdehnung und Umfang dieser Lieferungen geben müssen. Dazu stellen wir gerne das neue Material zur Verfügung.“ Auch unter Eisenbahnfreunden erregte der Film Aufsehen wegen der historischen Doppeltraktion aus Reichsbahn-Elektrolokomotiven der bayerischen Baureihe EP 2, der späteren E 32 der Reichsbahn (siehe Video). „Ihre Odyssee zunächst in die französische Zone und anschließend durch die Westzonen muss noch im Detail dokumentiert werden“, erklärte Dünger. Von dem Wein selbst, der sicher auch in Etwashausen verteil worden sei, wenn der Zug schon hier gefahren sei, habe man bisher noch nichts gefunden. Das Denkmalamt appellierte an die Bürgerinnen und Bürger, mal in ihren Keller nachzuschauen, ob sich dort nicht irgendwo Wein unbekannter Herkunft finde.
Sehr schöne Geschichte.
VG
Martin