Genoveva in heller Aufregung – Inhalt war sehr wertvoll –
Der Luxusschlafwagen am Bahnsteig von Etwashausen. Schon sind alle Passagiere ausgestiegen. Aber eine aufmerksame Bürgerin hat etwas gesehen, das den Fahndern weiter hilft. © Fotos: Etwaige Nachrichten
Etwashausen, 27. Oktober (Eigener Bericht) Ein Gepäckdieb hat die Polizei der Stadt in Atem gehalten. Das Opfer war ausgerechnet Genoveva F., die mit dem Orient-Express im Schlafwagen aus Paris zurückgekommen war. Dank aufmerksamer Bürger und einer intensiven Fahndung gelang es aber, Dieb und Diebesgut zu fassen.
Genoveva war außer sich. „Mein Koffer, wo ist mein Koffer?“, rief sie durch den ganzen Schlafwagen, als sie kurz vor Etwashausen ihre Sachen zusammensuchte. „Mein Koffer ist weg!“ Sie schrie fast den Schlafwagenschaffner an, der sie zu beruhigen versuchte. „Nun erzählen Sie doch mal von vorne“, sagte er. „Da gibt es nicht viel zu erzählen“, antwortete Genoveva. „Ich habe ihn vorhin noch in der Hand gehabt, bevor ich zur Toilette gegangen bin. Als ich ihn eben aus dem Gepäcknetz nehmen wollte, war er weg. Der ist ganz wertvoll!“ Sie hatte einen sehr weinerlichen Ausdruck im Gesicht.
Der Zug fuhr gerade durch Neustadt. „Wenn wir in Etwashausen ankommen, rufen wir sofort die die Polizei. Oder – warten Sie“, dem Schaffner war etwas eingefallen, „der Dieb muss ja noch im Zug sein. Ich suche ihn. Wie sah denn der Koffer aus?“ Genoveva beschrieb ihn als hellbraun, aus Leder, mit einem Griff oben dran. „O je“, sagte der Schaffner. „So sehen ja fast alle Koffer aus. Da haben Sie schlechte Karten. Ich kann doch nicht alle diese Nobelfahrgäste fragen, ob sie Ihnen den Koffer geklaut haben.“ Außerdem müsse er auch noch seine Schaffnerarbeit erledigen.
Also wurde gleich am Bahnhof die Polizei gerufen. Glück für die Beamten, dass bei der Ankunft des Orient-Express aus Paris in Etwashausen immer einige Leute auf dem Bahnsteig stehen, die ein, zwei Blicke auf eventuell mitreisende Prominenz werfen wollen. Eine etwas vollschlanke Frau mit Blue Jeans und einer orangenen Weste erklärte Kommissar Jürgen Overbeck, sie habe einen verdächtigen Mann gesehen, der sich mit zwei Koffern abgeschleppt habe und dazu einen sehr gehetzten Eindruck gemacht habe. „Er sah nicht so aus, als sei er es gewohnt, mit zwei Koffern zu reisen“, sagte die Frau. „Diese Leute, die mit viel Gepäck reisen und in solchen Zügen fahren, bedienen sich normalerweise eines Gepäckträgers.“ Sie musste es ja wissen. Er habe einen blauen Anzug getragen, die Koffer in einen grauen Kombiwagen gehievt und sei dann ganz schnell abgefahren.
„Den finden wir“, sagte Overbeck. „Ich rufe Uwe an, und dann nehmen wir die Fahndung auf. Das Kennzeichen haben Sie sich nicht zufällig gemerkt?“ Die Dame verneinte, sie habe es gar nicht sehen können. Overbeck ging schnellen Schritts zu seinem Dienstwagen. „Halt! Ich will mit“, rief Genoveva. „Aber machen Sie kein dummes Zeug“, sagte Overbeck und griff in seinem Dienst-Mercedes zum Polizeifunkgerät, um Hauptwachtmeister Uwe D. zu instruieren. Nachdem er den Verdächtigen beschrieben hatte, machte er sich mit Genoveva auf den Weg. Overbeck suchte in der Innenstadt, D. in der Siedlung.
In der City war kein graublauer Kombi zu finden. Als sie zum zweiten Mal in die Goethestraße fuhren, meldete sich der Hauptwachtmeister über Funk. „Ich glaube, ich habe ihn. Kommen Sie schnell in die Hauptstraße!“, rief er. Overbeck haute den ersten Gang rein und sprintete los. Glücklicherweise waren ausnahmsweise mal die Schranken offen, als Overbeck und Genoveva auf die Hauptstraße fuhren.
Fast genau vor dem Dorfkrug hatte D. den Opel Caravan angehalten. Er hatte den Mann im blauen Anzug schon zum Aussteigen genötigt. Der machte ihm aber gerade eine Szene. „Ich soll einen Koffer gestohlen haben?“, gab er sich empört. Es sei eine reine Routinesache, antwortete Uwe D. gelassen. Er solle die zwei Koffer mal aus dem Kofferraum holen, antwortete Uwe D. gelassen. Der Mann, etwas weniger selbstsicher, nahm erst einmal einen Koffer heraus. „Das ist meiner!“ Genoveva kreischte fast. Sie war gerade ausgestiegen und ließ sich kaum zurückhalten. Overbeck sagte: „Ich hoffe, Sie haben etwas Originelles im Koffer, auf das er bestimmt nicht kommt.“ Darauf könne er sich verlassen, gab Genoveva zurück.
Auf der Hauptstraße stellte die Polizei den Kofferdieb.
Overbeck verlangte von dem Verdächtigen, den Inhalt des Koffers zu beschreiben. „Frauenkleider und Unterwäsche, teils frisch, teils gebraucht“, sagte er. „Und eine Flasche Calvados.“
„Woher weiß der das?“, fragte Genoveva entsetzt. Zu Overbeck sagte sie: „Das stimmt. Vielleicht hat er irgendwie zugehört, als ich im Abteil davon geredet habe.“ Ja, die Abteilwände sind dünn, dachte Overbeck.
„Fragen Sie ihn, welcher Jahrgang der Calvados ist“, sagte Genoveva. Overbeck runzelte die Stirn, wandte sich aber zu dem Mann: „Welcher Jahrgang ist der Calvados?“ Der Verdächtige tat ungläubig. „Wieso Jahrgang? Ähm, das weiß ich nicht.“ Overbeck sagte: „Ich wusste auch nichts von Jahrgangs-Calvados. Wie alt ist er denn?“ „Neunzehnhundertzweiundzwanzig“, sagte Genoveva ganz langsam. „Und jetzt machen wir bitte den Koffer auf. Ich will wissen, ob er noch drin ist.“ War er.
Nachdem die polizeilichen Formalitäten erledigt waren, gingen sie mit Fritz P. in den Dorfkrug, wo sie sich mit Fritz P., der Reporterlegende, trafen und ihm die Geschichte erzählten. „Der Calvados wird erst aufgemacht, wenn er 100 Jahre alt ist“, sagte Genoveva.