Nummer 85: Zu wenig Licht am Ende des Bahnsteigs

Defekt an Weichenlaterne sorgt für erhebliche Behinderungen

Dunkel war’s an der nördlichen Einfahrtsweiche zum Gleis zwei. Auf dem Bahndamm der Oberinspektor vom Bundesbahn-Zentralamt, links Fahrdienstleiter Klaus Neuerburg.

Etwashausen, 19. Juli (Eigener Bericht) Für schwere Behinderungen des Schienenverkehrs hat ein Defekt an einer Weiche im Etwashausener Bahnhof gesorgt. Das Licht in der Laterne war ausgefallen. Das Bundesbahn-Zentralamt ordnete an, dass kein Zug mehr über die Weiche fahren darf. Erst nach der Reparatur wurde sie wieder freigegeben.

Wie die „Etwaigen Nachrichten“ erfuhren, war es nicht die Pingeligkeit der Aufsichtsbehörde, sondern die Nachlässigkeit der Instandhaltung der Etwashausener Bahnverwaltung. Das Licht in der Weichenlaterne ist seit Wochen ausgefallen, und Fahrdienstleiter Klaus Neuerburg hatte dem Zentralamt schon lange zugesagt, das Problem zu beheben. Die Arbeiter hatten dann aber keine Ersatzbirnen gefunden und das Problem erst einmal ungelöst gelassen. „Das merkt schon keiner“, hatte Hemmschuhleger Walter Vollmer gesagt. Und Tag für Tag waren die Züge an der Weiche vorbeigefahren, ohne dass sich jemand daran störte.

Mitte Juni kam aber Oberinspektor Jens Mindernickel vom Zentralamt auf einer Inspektionsreise durch Etwashausen. Zufällig wohnt hier auch seine Verlobte. Als er den Besuch bei ihr beendet hatte und am Bahnsteig auf den Zug nach Neustadt wartete, fiel ihm die dunkle Weichenlaterne auf.

Mindernickel ging zum Stellwerk und sprach ein ernstes Wort mit Neuerburg. Man könne ja gar nicht richtig sehen, was die Weiche anzeigt, sagte er, und damit sei die Sicherheit schwer gefährdet. Neuerburg sagte schulterzuckend bei einer Ortsbegehung: „Wir hatten uns alle schon an die unbeleuchtete Laterne gewöhnt“, sagte er schulterzuckend bei einer Ortsbegehung.

Der Oberinspektor ließ das nicht auf sich beruhen. Einige Tage später ordnete er in einem Schriftsatz an den Regionalbeauftragten Gerhard Schlupp die Stilllegung der Weiche bis zur Behebung des Defekts an. Begründung: Sicherer Bahnverkehr könne mit dunklen Laternen nicht gewährleistet werden.

Schlupp legte zwar Widerspruch ein, wie er das immer tat, wenn ihm etwas nicht passte, aber er musste der Anordnung dennoch nachkommen. Zunächst ließ er Notfahrpläne entwerfen. Das war gar nicht so einfach, denn die Weiche lag in einem Knotenpunkt des Etwashausener Schienennetzes.

Die Stilllegung hatte zur Folge, dass Etwashausen für mehrere Tage quasi zum Kopfbahnhof wurde. So konnten die Personenzüge nur nach Süden ein- und ausfahren. Das sorgte für stundenlange Verspätungen.

Birnen aus Italien: Gleich ein größeres Kontingent von Glühbirnen aller Art wurde aus Italien geordert. Auf dem Uralt-Laster des Güterbahnhofs wurden sie zum Instandhaltungslager gebracht.

Mehrmals mussten die Züge nun auf manchen Strecken die Fahrtrichtung wechseln. Lokführer monierten, dass sie viel mehr Arbeit hätten als sonst. Fahrgast Hedwig Munke beschwerte sich, sie könne sich gar nicht mehr hinsetzen, weil es keine Sitzplätze im Zug nach Wildenranna gebe, bei denen man garantiert in Fahrtrichtung sitze. „Wenn ich gegen die Fahrtrichtung sitze, kriege ich immer einen steifen Hals“, klagte sie.

Schlupp blieb nicht untätig. Erst gab er mal den „Etwaigen Nachrichten“ ein Interview. „Sicherheit geht bei uns über alles“, verkündete er, „und deshalb werde ich so schnell wie möglich für Abhilfe sorgen.“ Anschließend telefonierte er mit der Zentralen Materialverwaltung, die ihrerseits ein Kontingent Glühbirnen in Italien bestellte.

Schon zwei Wochen später trafen sie mit einem italienischen Güterwagen ein. Schlupp hatte in der Weitsicht, die höheren Bahnbeamten eigen ist, gleich mehrere Sorten Birnen geordert Manche hatten ein Gewinde, manche ein Bajonett, manche waren rot, andere grün gefärbt, weil sie zur Beleuchtung von Signalen dienten.

So müssen leuchtende Laternen aussehen.

Der uralte Lastwagen des Güterbahnhofs brachte die neuen Birnen zum Zentrallager und fuhr dann mit einer Bajonettbirne zur nördlichen Einfahrweise des Gleises zwei. Mit vereinten Kräften – Neuerburg packte selbst mit an – reparierten die Etwashausener Arbeiter die Laterne und erstatteten Schlupp Report. Der vergewisserte sich selbst von dem ordnungsgemäßen Einbau des Leuchtmittels und verfasste einen Schriftsatz, den er auch auch gleich per Telex ans Bundesamt sendete.

Eine Stunde später kam ebenfalls per Telex die Freigabe der Weiche unter dem Vorbehalt einer persönlichen Nachprüfung. Und tatsächlich, eine Woche später reiste Mindernickel wieder an, nahm die leuchtende Laterne in Augenschein, besuchte seine Verlobte und kehrte an seinen Arbeitsplatz zurück.

Und Schlupp rief die „Etwaigen Nachrichten“ an. „Ich habe was exklusiv für Sie“, sagte er. „Der Verkehr in Etwashausen kann wieder planmäßig laufen“, verkündete er stolz. Nur drei Wochen hatte es gedauert, bis die Züge wieder über die Weiche fahren konnten.

... berichtet regelmäßig in den “Etwaigen Nachrichten” (EN) über die Ereignisse in Etwashausen. Sie erreichen Fritz P. per Elektronischer Post über das Kontaktformular oder über folgende Anschrift:

Reporterlegende Fritz P.
Etwaige Nachrichten
Hauptstraße / Markt
Etwashausen

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