Nummer 91: Konfrontation am Stumpfgleis

Erntedankfest wäre fast ausgeartet – Genoveva klärt auf

Heftiger Streit zum Ende des Erntedank-Abends: Ein Halbstarker aus Neustadt suchte den Konflikt mit dem Lkw-Fahrer Boleslaw S. Beide hatten sich im Dorfkrug in Genoveva verguckt. Mit einer diplomatischen Meisterleistung brachte sie die Streithähne zur Ruhe.

Etwashausen, 19. Oktober (Eigener Bericht) Der sonst eher beschauliche Güterbahnhof wurde am Sonntagabend zur Kulisse einer dramatischen Auseinandersetzung, wie sie in der Stadt schon lange nicht mehr vorgekommen ist. Zwei Männer schlugen sich um eine Frau. Dieser gelang es aber, ernsthafte Verletzungen zu verhindern.
Das Erntedankfest im Dorfkrug hatte ganz beschaulich begonnen. Aus für manche Besucher unverständlichen Gründen wurde als besondere Attraktion ein neuer Servicewagen für Förster Siegfried Weidenbusch angepriesen. Laut Dorfkrug-Wirt Egon Pielke
hatte Weidenbusch darauf bestanden, den Wagen bei dem Fest vorzustellen. Das geländegängige Fahrzeug wurde eigens für die etwas schwierigen Forstverhältnisse zwischen Etwashausen und Neustadt aus Amerika importiert. Es soll mit seiner Spezialausrüstung bei Waldbränden eingesetzt werden. Der dunkelgrüne Wagen war der Star des Abends. Weidenbusch gab vor Freude darüber, dass der Wagen endlich angekommen war, zwei Lokalrunden.
Das steigerte die Fröhlichkeit deutlich, brachte aber auch einige Gemüter in Wallung. Der 16- jährige Ole B., der vor zwei Jahren als Kransurfer schon einmal für Aufsehen gesorgt hatte, trank unbemerkt von Pielke gleich drei große Bier und zwei Klare und forderte dann Genoveva F. zum Tanz auf. Die dachte sich nichts dabei und schwang mit ihm das Bein.

Der neue Feuerlöschwagen war der Star des Fests. Extra aus Amerika importiert, soll er im Wald Katastrophen verhindern.

Danach kehrte Ole an die Bar zurück und bestellte noch ein Bier. Obwohl Pielke inzwischen vorsichtig geworden war und ihm nur noch eine Orangenlimonade gegeben hatte, träumte der Junge sich die 25 Jahre ältere Genoveva als seine neue Freundin zurecht. „Sie versteht mich vollkommen“, schwärmte er. „Ist sie nicht toll? Ich liebe sie.“
Pielke versuchte ihm das auszureden, aber es half nichts. „Und dieser Kerl da“, fuhr Ole fort und zeigte auf den Lkw-Fahrer Boleslaw S., der jetzt mit Genoveva tanzte, „der soll bloß aufpassen.“ S. verabschiedete sich schon bei Einbruch der Dunkelheit, weil er am frühen Morgen wieder eine Fuhre hatte. Ole folgte ihm schwankend. Am Stumpfgleis des Güterbahnhofs hatte er den Lastwagenfahrer eingeholt, der von der Erntehilfe noch eine Schaufel über der Schulter trug. Ole begann: „Du lässt die Finger von dem Mädchen, sonst …“ Boleslaw wusste nicht, ob er lachen oder sich ärgern sollte. „Mädchen? Das ist eine ausgewachsene Frau, die hat schon einiges hinter sich“, sagte er. „Und außerdem
geht sie mit …“ Weiter kam er nicht, denn Ole rammte ihm die Faust in die Bauchgegend. Der Mann schlug mit der Hand zurück und sagte keuchend: „Noch einmal, und ich zieh dir die Schaufel über den Schädel“, und seinem Gesichtsausdruck nach meinte er es ernst. Ole, den der Schlag schmerzte, wurde unsicher. Ihm schwand der Mut.
„Hört doch auf“, tönte es da vom Bahnübergang her. Beide drehten sich um und sahen Genoveva und Fritz P., die von Pielke auf die brenzlige Situation aufmerksam gemacht worden und Ole nachgelaufen waren.
„Ole, sei vernünftig“, sagte Genoveva zu dem Jungen, „ich könnte deine Mutter sein. Mit mir hättest du auch keine Freude.“ Ole hatte eine schwere Kindheit, das wussten alle in der Stadt. „Und trinkʼ nicht so viel; ich weiß wovon ich rede“, fuhr sie fort. Boleslaw sagte: „Ich gehe jetzt einfach“, und entfernte sich. Fritz P. und Genoveva redeten beruhigend auf Ole ein. Sie machten ihm klar, dass er ohnehin keine Chance bei Genoveva gehabt hätte. „Wie wäre es mit einem Praktikum auf dem Bauernhof? Dann bist du bald so stark wie Boleslaw.“ Und tatsächlich beruhigte sich der Junge.

Mit einer besonderen Aktion endete das Erntedankfest: Die Fässer für den Beaujolais wurden in den Gepäckwagen des Expresszuges geladen.

Zusammen gingen sie dann noch die paar Schritte bis zum Güterbahnhof. Dort stand der Gepäckwagen, der am nächsten Morgen an den internationalen Expresszug nach Paris angehängt werden sollte.
Eingeladen wurden zwei Holzfässer, die in der französischen Kellerei mit Beaujolais gefüllt werden sollten. Das war ein besonderer Gag von Pits Café. Pit warb damit, dass sein Wein immer in eigene Fässer kam, damit er ein ganz besonderen Aroma bewahrte. „Davon gibt es jetzt aber erst mal nix“, sagte Pit zu Ole, „nicht nur der Wein muss reifen. Du auch.“ Der Junge konnte schon wieder lachen.

... berichtet regelmäßig in den “Etwaigen Nachrichten” (EN) über die Ereignisse in Etwashausen. Sie erreichen Fritz P. per Elektronischer Post über das Kontaktformular oder über folgende Anschrift:

Reporterlegende Fritz P.
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Etwashausen

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