Kupplung riss – Waggon blockierte den Bahnübergang –
Etwashausen, 10. Februar (Eigener Bericht) Schreck in der Abendstunde: Der Personenzug aus Wildenranna hat kurz vor Erreichen des Bahnhofs die beiden letzten Waggons verloren. Elf Passagiere blieben im wahrsten Sinn des Wortes auf der Strecke. Die Waggons kamen ausgerechnet auf dem Bahnübergang der Hauptstraße zum Stehen. Verletzt wurde niemand, aber der Straßenverkehr kam für zwei Stunden zum Erliegen. Die Ursache für den Zwischenfall ist noch vollkommen unklar. „EN“-Reporterlegende Fritz P. konnte ein Exklusivinterview mit einem Fahrgast führen.
Oberinspektor Jens Mindernickel vom Bundesbahn-Zentralamt dementierte Spekulationen, die alten Abteilwagen würden unzureichend gewartet. „Sie haben eine förmliche Zulassung und werden regelmäßig untersucht“, sagte er. Eine Ursache konnte er aber auch nicht nennen. Eine Kupplung müsse sich gelöst haben, wodurch die Waggons an Geschwindigkeit verloren hätten. „Wenn danach die Versorgungsleitungen gerissen sind, ist automatisch eine Notbremsung eingeleitet worden“, sagte Mindernickel.
„Es gab ein komisches Geräusch, und dann quietschten die Bremsen, im Wagen wurde es dunkel, und er blieb abrupt stehen“, berichtete Kurt K., der in dem abgehängten Wagen saß, anschließend im Exklusiv-Interview der „Etwaigen Nachrichten“. „Einige von uns erschraken fürchterlich, ein Kind weinte, einer Frau mir gegenüber fiel die Brille von der Nase, aber sonst ist niemandem was passiert. Ich habe dann noch eine Weile gewartet, und als sich nichts tat, sind wir ausgestiegen. Das geht ja bei diesen alten Abteilwagen relativ einfach.“ So weit vom Bahnhof entfernt sei es ja nicht gewesen.
„Ich bin dann erst mal hierher gegangen.“ Hierher – das war der Dorfkrug, in dem auch das Interview geführt werden konnte. „Auf den Schreck habe ich erst einmal einen getrunken“, sagte K. Das Bier hier ist übrigens besser als in den Speisewagen der Bundesbahn.“ – „Ist ja auch vom Fass“, warf Dorfkrug-Wirt Egon Pielke ein. „Egal“, fuhr K. fort. „Außerdem konnte ich von hier aus beobachten, wie die Wagen von der kleinen E-Lok abgeholt wurden.“
„Die Abteilwagen sind wirklich schon in die Jahre gekommen“, sagte Gerhard Schlupp, der pensionierte ehemalige Generalbevollmächtigte der Bahn für Etwashausen, der sich ebenfalls im Dorfkrug aufhielt und sich an den Interview-Tisch gesetzt hatte. „Das einzige, was sie nach dem Krieg erneuert haben, sind die Gepäckwagen. Sogar ein Hundeabteil haben sie in die integriert. Es wird Zeit, dass auch für die menschlichen Fahrgäste mal was getan wird.“
Da sei etwas dran, pflichtete K. bei. Andererseits, räumte er ein, seien die Abteilwagen richtig gemütlich – besonders seit die Sitze in einigen von ihnen gepolstert worden seien.
Bei der Bahnhofsverwaltung wollte zunächst niemand die Frage beantworten, ob für die nächste Zeit eine Erneuerung des Wagenmaterials geplant sei. „Das muss weiter oben entschieden werden“, sagte Bahnhofsvorsteher Jakob Claus. „Wir haben schon mehrere Anträge gestellt, damit wir endlich Wagen mit einem Mittelgang bekommen, aber bisher kam keine Reaktion. Da braucht man sich ja nicht zu wundern, wenn die Etwashausener Lokalbahn mit ihrem modernen Schienenbus immer mehr Zulauf bekommt.“ In der Bundesbahndirektion ging am späten Nachmittag niemand mehr ans Presse-Telefon, um eine Stellungnahme dazu abzugeben.
Jetzt sollen jedenfalls erst einmal die Kupplungen der alten Abteilwagen genau untersucht und gegebenenfalls repariert oder ausgewechselt werden. Eine erste Inspektion nahmen ein Bahnarbeiter und Mindernickel bereits vor, als der kurze „Rest-Zug“ mit der kleinen Lok am Bahnhofsgleis hielt. Er berichtete auch von Lokführer Wieland Hellmich, der den Zwischenfall zunächst gar nicht bemerkt hatte, sondern weitergefahren war. „Hellmich hatte ein total schlechtes Gewissen, dass er die Fahrgäste im hinteren Zugteil einfach so hatte stehen lassen“, sagte Mindernickel. „Aber er hätte ja auch nichts machen können.“
Als der kleine Zug abends aufs Abstellgleis fuhr, hatten die Fahrgäste ihre Reise schon längst alle zu Fuß fortgesetzt. Und im Dorfkrug tranken einige darauf, dass ihnen nichts passiert war.