Nummer 132: Das goldene Fass

Ein Zug brachte Wein aus besten Anbaugebieten in die Stadt

Der Weinzug kommt in Etwashausen an.

Etwashausen, 16. April (Eigener Bericht). Feinschmecker in der Stadt können aufatmen. In einem spektakulären Coup hat Pit, der Wirt von Pits Café, dafür gesorgt, dass die Weinkeller mit edlen Tropfen aus besten europäischen Anbaugebieten gefüllt wird: Er ließ einen multinationalen Weinzug kommen. Die Ankunft lieferte zugleich einen überzeugenden Beweis dafür, wie vorteilhaft für die Bürger sich die Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft (EWG) auswirken kann, und wurde deshalb vom Finanzministerium unterstützt.

 Wegen der völkerverbindenden Bedeutung des Projekts „Weinzug“ befreiten die betroffenen Länder die Etwashausener Empfänger von allen Steuern und Zöllen. Schon deshalb begrüßten die Bürger das Projekt ebenfalls, hofften sie doch auf Preisnachlässe auf der Weinkarte.

Die alte 55er Dampflok, mit der der Zug am Freitagmorgen ankam, hat in gewisser Weise selbst etwas Völker verbindendes. Der Lokomotivtyp hat seinen Ursprung in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, und Loks dieser Bauart sind durch die Wirren der Kriege sowohl nach Italien als auch nach Frankreich gekommen.

Im italienischen Weinwaggon sind die Fässer sowohl vor Witterungseinflüssen als auch vor eventuellen diebischen Attacken durch ein Dach und einen Bretterboden geschützt.

Daher kamen einige der Weinwaggons, die die alte 55er zog. Sie waren durchweg Jahrzehnte alt, damit sich in den historischen Transportfässern das Aroma des kostbaren Rebensafts weiter verfeinern konnte.

Einer von ihnen kam aus Italien. Im Gegensatz zu den anderen, deren wertvolle Fracht schon an der äußeren Form zu erkennen war, ähnelte er einem gedeckten Güterwagen. Die Transportgesellschaft hatte nach einschlägigen Erfahrungen die Fässer überdacht und mit Wänden und verschließbaren Schiebetüren versehen, um Dieben keine Chance zu geben.

Zwei kamen aus Frankreich: Der eine, obwohl eher schlicht mit einem Blechboden gestaltet, trug stolz die Aufschrift „Bordeaux“. Pit sorgte dafür, dass der edle Inhalt schnell in alte Holzfässer umgeladen wurde, die er aus Kellern der Umgebung zusammengesucht hatte. Vorsichtig lud er sie in seinen Opel Blitz.

Der andere kam von der Eisenbahnverwaltung Elsass-Lothringen und trug noch deutschsprachige Aufschriften. In zwei Fässern trug er teuren Gewürztraminer und erschwinglichen Edelzwicker nach Etwashausen. „Gerade der Edelzwicker schmeckt fantastisch zu meinem Zwiebelkuchen“, sagte Pit.

Der Dorfkrug bekam seinen Wein mit dem Limonadenwagen.

Auch der Wirt des Dorfkrugs füllte einige Fässer damit. „Er ist einfach das ideale Gegengewicht zu fetten Speisen“, argumentierte er. Er gab aber auch zu, dass viele Gäste erst noch von dem herben Geschmack überzeugt werden müssten. Der letzte Wagen schließlich brachte deutsche Qualitätsweine aus der Gegend um Oppenheim, die auch immer wieder stark nachgefragt werden.

Lokführer Hellmich hatte noch ein ganz besonderes Geschenk von der Winzergenossenschaft Hunawihr im Elsass dabei. Er hatte es im Bremserhaus des Weinwagens untergebracht: ein goldenes Fass voller Riesling. „Dafür, dass du es geschafft hast, drei vor wenigen Jahren noch verfeindete Länder über den Wein zusammen zu bringen“, solle er ausrichten. In Zeiten, da Europa immer wieder in Frage gestellt werde, könne man das nicht hoch genug bewerten. Weil der Lokführer erst in drei Tagen wieder an den Regler musste, lud Pit ihn ein, am Abend den guten Tropfen mit ihm zu probieren.

Ein besonderes Geschenk: das goldene Fass.

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