Streit zwischen Bahn und Stadt über Ehrung am Bahnhofsvorplatz
Etwashausen (Eig.Ber.) Mit einem Festakt ist am Samstag das Denkmal des emanzipierten Kunden vor dem Bahnhof enthüllt worden. Es ehrt Auguste Viktoria Schulze, die vor 75 Jahren, am 15. April 1932, ihre Bürgerinnenrechte im Personenzug von Wildenranna nach Etwashausen durchsetzte. In der Feierstunde wurde erneut der Dissens zwischen Stadt und Bahn über die Gestaltung des Bahnhofsvorplatzes deutlich. Der Regionalbevollmächtigte der Bahn, Gerhard Schlupp, blieb der Zeremonie demonstrativ fern.
Bürgermeister Wilhelm Meyer hob in seiner Ansprache den Beitrag mündiger Konsumen- ten für eine funktionierende Marktwirtschaft hervor. Ludwig Schulze, dem Enkel der Geehrten, blieb es vorbehalten, die Episode nachzuerzählen, die zu der Entscheidung geführt hatte, das Monument für seine Großmutter zu errichten, die noch heute von ihren Verehrern liebevoll „Guste“ genannt wird.
Es war ein lauer Frühlingstag, als die damals 29-jährige Auguste Schulze am Halte- punkt Wildenranna im Nichtraucherabteil 2. Klasse Platz nahm. Während der Fahrt zündete sich ein Mitreisender namens Christoph Schüttler eine Zigarre an. Er reagierte nicht auf mündliche Vorhaltungen, so dass Guste ihm schließlich mit einem beherzten Schwung ihrer Handtasche die Zigarre aus der Hand schlug. Die übrigen Fahrgäste hielten sich aus dem Streit heraus, und auch der von Schüttler herbeigerufene Kontrolleur meinte, ihn ginge die Auseinandersetzung nichts an und überhaupt sei die Sache ja jetzt erledigt. Auguste wandte sich, in Etwashausen angekommen, an das Vorgängerblatt der EN, den „Etwashausener Boten“, der sie mit der Geschichte groß he- rausbrachte. Ein Jahr später wurde er gleichgeschaltet.
Die Errichtung des Denkmals, die auf einen Vorstoß der örtlichen Verbraucherzentrale zurückging und von Teilen der Opposition unterstützt wurde, war zwischen der Bahn und der Stadt umstritten. Schließlich setzte sich die Stadt mit dem Argument durch, das Denkmal befinde sich auf ihrem Grund und Boden. Von Schlupp ist aus einer besonders hitzigen Debatte ein Spruch überliefert: „Wenn wir die lästigen Kunden nicht hätten, wäre der Betrieb ohnehin viel leichter.“
Zur Feier des Tages gab es nicht nur im Gasthaus zur Post einen besonderen Ausschank namens „Gustes Halbe“. Auch der historische Abteilwagen, in dem sie ihre emanzipatorische Tat vollbrachte, war am Gleis 1 zu besichtigen.
Wie verlautete, wurde Schlupp von seinen Vorgesetzten aus der Bahnzentrale an- gehalten, den Widerstand gegen die Feierlichkeiten aufzugeben. Man wolle in derart kritischen Zeiten keinen Ärger wegen Angelegenheiten haben, die 75 Jahre zurücklägen, hieß es zur Begründung.
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