Wie Märklin und die Bundesbahn ein Vorbild zum Modell schafften
Nach 25 Jahren – Die EN decken auf:
Etwashausen (Eig.Ber.) Die Firma Märklin und die Deutsche Bundesbahn haben vor 25 Jahren einen ganz eigenen Beitrag zur Geschichte der Modelleisenbahn geliefert: Sie schafften das Vorbild für ein Modell, das es schon gab. Normalerweise ist es ja umgekehrt. Das „Airport-Express-Komplott“ kam zufällig zum Jubiläum des Zuges im Maßstab 1:87 ans Licht, weil ein Beteiligter sein Gewissen gegenüber den „Etwaigen Nachrichten“ entlastete.
Just als vergangene Woche der Airport- Express ein kurzes Gastspiel in Etwashausen gab, wurde Fritz P. am Bahnsteig von einem unbekannten Mann angesprochen, der gerade aus dem Zug gestiegen war. „Sie sind doch die bekannte Reporterlegende?“, fragte der Unbekannte und streckte dem Journalisten die Hand hin. In der Linken trug er einen großen braunen Briefumschlag. „Ich hätte da eine Super-Story für Sie!“
Fritz P. zögerte nicht lange und ging mit dem Mann in den Dorfkrug. Am Tisch packte der Unbekannte, der sich als Willi S. vorstellte, bei einem Schoppen Bergsträßer Wein den Inhalt des Briefumschlages auf den Tisch: Großformatige Schwarzweißbilder und eine alte Ausgabe des Märklin Magazins.
Auf den Fotos war das Vorbild des Airport- Express zu sehen, den Märklin vor genau 25 Jahren in den Spurweiten H0 und Z herausgebracht hat. Nicht immer zeigten die Vor- bildfotos allerdings die von Märklin vor die blau-silbernen Waggons gespannte E-Lok der Baureihe 111. Auf einem Bild war deutlich eine Lok der Baureihe 112 zu sehen, die wegen ihrer windschnittigen Form den Spitznamen „Bügelfalte“ trägt.
„Die Fotos hat damals ein Frankfurter Lokaljournalist gemacht, dessen Namen ich hier lieber nicht nennen will“, sagte S zu Reporterlegende Fritz P. „Er hat mir aber erlaubt, die Geschichte der Zeitung zu geben.“
Die Züge waren S.’ Angaben zufolge zur Spielwarenmesse 1983 vorgestellt worden, und unmittelbar darauf hatte sich in Fachkreisen eine Diskussion über die Frage entsponnen, ob die 111er-Lok vor diesem Zug überhaupt vorbildgerecht sei.
Alle Fotos, die davon existierten, zeigten den Zug entweder mit einer „Bügelfalte“ oder mit einer Lok der Baureihe 110. Eine „Bügelfalte“ hatte Märklin aber damals nicht im Programm. Sie eigens dafür neu zu konstruieren, lohne sich nicht, sagte der PR- Berater. Mit einer 110 wollte man den Zug aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen nicht realisieren.
Die Diskussion drang bis in die Top-Management-Ebenen von Märklin vor, und obwohl der Hersteller öfters nicht zimperlich mit Abweichungen seiner Modelle vom Vorbild war, wurde es diesmal kritisch. „Und so kam es zum Airport-Express-Komplott“, berichtete S.
So klingelte bei dem Lokalreporter eines Tages das Telefon. Dran war der PR-Berater von Märklin, den der Journalist gut kannte. Er habe da ein Problem, „und du kennst doch die Leute von der Bahn in Frankfurt gut?“
Nach einigem Vorgeplänkel rückte er heraus mit seiner Bitte: „Wir brauchen Vorbildfotos. Kannst du es arrangieren, dass der Zug ein einziges Mal mit der 111 fährt?“ Uiuiui, meinte der Reporter, das sei aber keine leichte Aufgabe. Er rief Willi S. an, der in der Pressestelle der damaligen Bundesbahndirektion Frankfurt arbeitete und dafür bekannt war, Unmögliches möglich zu machen. „Du, die Firma Märklin hat da ein Problem…“, begann der Reporter und schilderte sein Anliegen. „Hm…“, sagte S., „mal sehen, was sich da machen lässt.“
Zwei Tage später klingelte in der Lokalredaktion das Telefon. „Hast du nächsten Dienstag Zeit?“, fragte Willi. “Dann komm um 09.00 Uhr in den Bahnhof Kelsterbach.“
Der Reporter musste sich frei nehmen, denn eine wirkliche Lokalstory durfte es ja nicht werden. Vielmehr waren alle Beteiligten zur Geheimhaltung verpflichtet.
Im westlich der Mainmetropole gelegenen Kelsterbach machte der Zug vormittags zwischen zwei Kursen eine längere Pause. Im Frankfurter Hauptbahnhofsvorfeld konnte er damals wegen Platzmangels nicht so lange abgestellt werden.
Willi und der Reporter trafen sich vor dem Stellwerk, von dem aus man einen schönen Überblick über das Kelsterbacher Gleisfeld hatte. „Wir haben extra eine 111 aus dem Bw am Hauptbahnhof hier herkommen lassen“, verkündete Willi nicht ohne Stolz, als sie oben bei den Fahrdienstleitern waren. „Da hinten steht sie. Jetzt müssen wir nur warten, bis der Airport-Express kommt.“
Wenige Minuten später war es so weit. Der leere Express hielt extra wegen dem Reporter am Personenbahnsteig. Die Bügelfalte wurde abgekuppelt und fuhr auf ein Abstellgleis weiter hinten. Nun setzte sich die 111 am anderen Ende an den Zug, immer dirigiert von den Leuten im Stellwerk. „Wo willst du sie haben?“, fragte Willi den Reporter, der mit zwei Kameras vollauf beschäftigt war, den Zug von oben zu fotografieren.
Auch der andere, deutlich schnellere Airport-Express, ein Schnelltriebwagen mit dem Spitznamen „Donald Duck“, der den Frankfurter Flughafen mit den Rhein-Ruhr-Ballungsräumen verband, war inzwischen vorbei gekommen.
„Wir stellen Sie Ihnen hin, wo Sie sie wollen“, erläuterte einer der Stellwerksbeamten. Der Reporter war dankbar, nannte einen Platz vor dem großen Chemiewerk, raste die Treppen hinunter und fotografierte den Airportexpress mit der 111 noch einmal schön von der Seite.
Dann traf er sich wieder mit Willi S. „Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll“, sagte er. „Nicht nötig – Eisenbahnspielen mach doch Spaß“, schmunzelte S. Die Fahrdienstleiter stimmten zu. Und die Leute bei Märklin waren es auch zufrieden. Sie stellten die modellbahnpolitisch korrekte Version der Geschichte mit einem Vorbildfoto in ihre Hauszeitschrift, das „Märklin magazin“. Nachzulesen in Ausgabe 4/83, Seite 45.
Nur ärgerlich, dass das Modell erst herauskam, als das Vorbild gerade eingestellt worden war. Die Gäste, die den Zug in Etwashausen bestaunen, werden ihn dennoch mit ganz anderen Augen sehen.
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