Nobelzug kommt mit frisch geputzter Lok, aber Uraltwagen
Etwashausen (Eig. Ber.) Die Städtepartnerschaft mit Paris zahlt sich aus: Seit Freitag gibt es eine neue Regelzugverbindung zwischen der französischen Hauptstadt und unserer Medienstadt. Ein französischer und ein deutscher D-Zug bedienen die Strecke im Wechsel. Das Echo auf die neue Verbindung war durchweg positiv – von einer kleinen Ausnahme abgesehen.
Der Zug aus dem Nachbarland kam mit einer frisch geputzten türkisfarbenen Lok, aber mit von außen recht ungepflegt aussehenden Waggons. Innen allerdings lockten frisch gepolsterte und bezogene Sitze. „Wir haben es leider nicht mehr geschafft, die Wagen zu reinigen“, entschuldigte sich Jean-Claude Commartin, der Pariser Beauftragte für interkulturelle Beziehungen, der als Ehrengast mitgekommen war. Die Polsterung habe länger als veranschlagt gedauert, weil die Verantwortlichen von Bahn und Behörden nach jedem Arbeitsgang hätten probesitzen wollen. Man dürfe sich ja keine Blöße geben, hatten sie argumentiert.
Anders bei der Lok: Entgegen den Behauptungen oberschlauer Besserwisser sei sie „très bien“ unter der Etwashausener Oberleitung gefahren, sagte Lokführer Wieland Hellmich, der unter Assistenz seines französischen Kollegen Etienne Gabin die deutsche Teilstrecke befuhr. Beide hatten freiwillig einen Kurs in der jeweiligen Partnersprache absolviert, um sich auf das internationale Ereignis vorzubereiten.
Die Ankommenden waren denn auch voll des Lobes über die Polsterung und die Beinfreiheit in den Wagen. Gleich in den ersten Zug stiegen schon zahlreiche Fahrgäste ein, unter ihnen Kulturdezernent Friedbert Dünger. Dieser antwortete auf die Frage, warum gerade er nach Paris fahre: „Weil die Stadt es bezahlt, um ehr- lich zu sein. Offiziell soll ich mich erkundigen, ob man nicht im Rahmen einer Überkreuzbeteiligung an den Denkmalschutzkosten die Ausga- ben für die historischen Gebäude der Stadt ver- ringern kann.“
Es habe sogar schon die Idee gegeben, einige Häuser an eine große französische Bank zu verkaufen und zurückzumieten, fuhr er fort. „Aber Sie sind doch gar nicht für Finanzen zuständig?“, fragte Reporterlegende Fritz P. „Darauf kommt es nicht an“, gestand Dünger. „Der Bürgermeister hat gesagt, Hauptsache, der Haushalt wird saniert.“
Nur Wolfi, der Schäferhund von Förster Siegfried Weidenbusch, äußerte Protest gegen den neuen Zug. Er stellte sich mitten auf die Fahrbahn vor die Schranke und kläffte die Lok ziemlich laut an. Der Zug fuhr unbeeindruckt weiter.
Nach dem kleinen Empfang am Bahnsteig begaben sich die meisten Teilnehmer, die nicht mit dem Zug nach Paris wollten, zur Nachfeier in den Dorfkrug. Wirt Egon Pielke hatte ein paar französische Fahnen
aufgehängt und ein echtes – aber leider leeres – Weinfass aus dem Burgund am Parkplatz aufgestellt. Zudem war es nur Fahrern französischer Autos erlaubt, den Wagen dort abzustellen.
Pielke musste mit Polizeiobermeister Siegfried Rudolph darüber diskutieren, ob man französische Trikoloren a) ohne behördliche Genehmigung auf deut- schem Hoheitsgebiet hissen und dies b) an stromführenden Freileitungen tun dürfe. Rudolph zeigte Entgegenkommen: Generell ja, an Freileitungen aber nur, so lange es nicht regnet. Schließlich wolle er die aufblühende Völkerfreundschaft nicht durch Kleinigkeiten hemmen.
2-CV-Fahrer und Berufslinker Klaus-Dieter Schulze-Hartnack legte sich mit dem Bahn-Generalbevollmächtigten Gerhard Schlupp an, der sich mit seinem großen BMW unter die Parkenden gemogelt hatte: „Das ist wieder typisch. Sie glauben wohl, Sie kriegen hier auch noch den Wein umsonst!“ Schlupp murmelte etwas von Undankbarkeit der jüngeren Generation.
Hellmich und Gabin amüsierten sich noch beim Abendessen über Wolfi. „Der schlägt bei jedem Zug an, wenn er am Bahnübergang warten muss“, erläuterte der Förster. „Es ist gefährlich, Hunde nicht angeleint in der Nähe von Bahndämmen laufen zu lassen“, warnte Schlupp. „Da brauchen Sie keine Angst zu haben“, entgegnete Weidenbusch, und sein Hund knurrte unter dem Tisch ganz leise. Der Hund kennt seine Grenzen, im Gegensatz zu manchen Menschen.“ Wenn die Bahn Bedenken habe, könne sie ja die Gleise einzäunen.
Gegen Ende des deutsch-französischen Abends legte Pielke sogar noch eine Platte mit echtem französischen Chansons auf. Gabin und Hellmich sangen aus vollem Herzen mit, und auch Commartin, der über Nacht blieb, da er mit dem deutschen Zug am nächsten Tag zurückfahren wollte, bewegte die Lippen. Nur Wolfi jaulte ein bisschen und war sichtlich erleichtert, als er wieder vor die Tür konnte.
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