Schlupp wollte Beleidigungen nicht mehr ertragen
Gerhard Schlupp auf seinem letzten Weg aus der Stadt. Bahnchef R.G. hatte extra den Nord-Süd-Schnellzug über Etwashausen umleiten lassen.
Etwashausen, 13. Juni (Eig. Bericht). Sensation im Bundesbahn-Management: Der Regionalbeauftragte der Bahn für Etwashausen und Wildenranna, Gerhard Schlupp, ist zurückgetreten. In einer kurzen persönlichen Erklärung, die den „Etwaigen Nachrichten“ vorliegt, begründete er seinen Schritt damit, dass er die Kritik an dem Unternehmen nicht mehr ertragen könne.
Er trete „mit sofortiger Wirkung“ zurück, schrieb Schlupp in der Erklärung. Das ständige Gemecker über die Bahn beschädige ihr Ansehen in der Öffentlichkeit als wichtigster Infrastrukturbetreiber der Region. Schließlich komme es nicht darauf an, dass die Bahn pünktlich fahre, sondern darauf, dass sie überhaupt fahre. „Wegen ein paar Minuten wird hier ein Weltuntergangsszenario heraufbeschworen. Das muss ich mir als hoher Beamter nicht länger bieten lassen.“ Bürgermeister Wilhelm Meyer telefonierte sofort mit Bahnchef R.G., als er das Schreiben in seiner Post fand, und bat um ein persönliches Gespräch.
Krisengespräch im Rathaus. Lange stand der Dienst-Borgward des Bürgermeisters vor den historischen Arkaden.
Der oberste Eisenbahner kombinierte seine Anreise mit der Vorstellung der neuen Elektrolok E 10, die er vor den eigens umgeleiteten Nord-Süd-D-Zug spannen ließ. Das half aber auch nicht wirklich bei der Lösung des Problems.
„Da kann ich leider nichts machen“, musste G. dem Bürgermeister erklären, wie die EN aus rathausnahen Kreisen erfuhren. Meyer konfrontierte den Bahnchef vergeblich mit dem Beamtenrecht. Schlupp habe gesagt, es sei ihm egal, was aus seiner Karriere werde. Er wolle einfach nur noch weg. „Die sind alle so gemein zu mir“, zitierten die Kreise Schlupp.
Lange dauerte das Gespräch Meyers mit G. im Rathaus, aber an der misslichen Lage, dass es vorerst keinen neuen Regionalbeauftragten geben werde, änderte das nichts. Schlupp war gleich zu Anfang der Konferenz entlassen worden. Er schlich sich sofort mit hochgeklapptem Trenchcoatkragen zum D-Zug. Allerdings erklärte der herbeigerufene Bahnhofsvorsteher Claus Jakob, er könne den Laden zusammen mit Güterbahnhofschef Jürgen Vogel und Fahrdienstleiter Klaus Neuerburg auch alleine schmeißen. „Dann quatscht uns wenigstens keiner mehr rein“, sagte er unter den missbilligenden Blicken des Bahnchefs.
Dieser rechnete sich gerade aus, um wie viel seine Bilanz aufgebessert würde, wenn er alle Regionalbeauftragten entlassen und die Verantwortung den operativen Kräften vor Ort überlassen würde. Davon sagte er Meyer aber lieber nichts, sondern verkündete: „Ich werde mich so schnell wie möglich um Ersatz bemühen.“
Die Züge in Etwashausen und Wildenranna behielten vorerst ihre bisherigen Pünktlichkeitsquoten bei. Das heißt, sie kamen zwischen zwei und zehn Minuten zu spät. „Ist doch alles wie immer“, fasste Genoveva am Abend beim Stammtisch im Dorfkrug die Stimmung zusammen. „Vielleicht brauchen wir ja wirklich keinen neuen Regionalbeauftragten.“
Der Nord-Süd-D-Zug legte auf seinem Weg zurück zur Fernstrecke auch noch einen unplanmäßigen Halt in Wildenranna ein, was die Wartenden am Bahnsteig sehr erfreute. Komfortabler als der ohnehin verspätete Personenzug war er allemal.
Der Nord-Süd-D-Zug jedenfalls hielt bei seiner Weiterfahrt aus betrieblichen Gründen, wie es in der Bahnhofsansage hieß, noch außerplanmäßig in Wildenranna. Die dort auf den verspäteten Personenzug Wartenden begrüßten das unerwartete Luxusangebot freudig. Hedwig Munke, die unter den Fahrgästen war, sagte: „Wenn es nach mir geht, könnten noch ein paar Bahnfunktionäre mehr abtreten. Dann klappt es vielleicht auch mit den Zügen.“
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