Dr. Löther sorgt mit teurer Neuerwerbung für Unmut am Stammtisch
Ein altes Auto mit nicht ganz weißer Weste
Zunächst lief alles in geordneten Bahnen: Es dämmerte gerade, als der Güterzug langsam aufs Ladegleis 4 geschoben wurde. Kräftige Drahtseile wurden um die Karosserie gespannt, und der Drehkran hob die kostbare Fracht vom Waggon. Es war ein Mercedes 540 K, Baujahr 1936. Reporterlegende Fritz P. hatte das Glück, bei der Auslieferung dabei sein zu dürfen.
Noch glücklicher war jedoch Löther, der den „Etwaigen Nachrichten“ sagte, mit dem Erwerb dieses Wagens gehe einer seiner Jugendträume in Erfüllung. Natürlich fragte P. nach dem Kaufpreis, aber Löther wollte ihn mit Rücksicht auf seine Patienten nicht nennen. „Ich will ja keine Neiddebatte entfachen“, sagte er. In Auktionen werden die Fahrzeuge hin und wieder mit Summen bis zu einer Million Taler und mehr gehandelt.
Die Überführung zu Löthers Anwesen in der Siedlung verlief ohne Probleme. Der Wagen sprang sofort mit tiefem, kernigen Brummen an, und Löther steuerte stolz über die Hauptstraße zu seinem Haus. „Ich werde eine größere Garage bauen lassen müssen“, sagte er.
Beim Stammtisch am Abend nahm das Schicksal dann jedoch seinen Lauf: „Was hast du dir denn da gekauft?“, fragte Feinstaubexperte Wilhelm Meiserich. „Nix Schlimmes“, entgegnete Löther, „es ist ein Benziner. Also kein Feinstaub.“ Was er nicht sagte, war, dass der Wagen bei flotter Fahrweise schon mal 30 Liter auf 100 Kilometer schluckt.
Bahnhistoriker Wilhelm Föttingmeyer, der schon bei der Aufklärung der Schienenzeppelin-Geschichte umfassende Kenntnis der Nazizeit bewiesen hatte, schlug in eine andere Kerbe. „Weißt du eigentlich, dass dieses Schiff bei den Nazi-Größen sehr beliebt war? Da hättest du auch gleich Hermann Göring zum Stammtisch einladen können.“
Löther konterte genervt: „Jetzt sag’ nur nich, dass das Auto deswegen schlecht ist! Nicht alles war schlecht, was damals …“ Er unterbrach sich und schluckte. Viele Teile seien wegen der Restauration ohnehin viel jüngeren Datums. Grünen-Stadtrat Bernd Meyer drohte mit dem Verlassen des Stammtischs wegen Geschichtsklitterung. „Wer weiß, wer diesen Wagen in Wirklichkeit gebaut hat.“ Bauer Hartmut Wolf schaffte es nach einer halbstündigen erregten Debatte, wieder Harmonie in die Runde zu bringen, indem er darauf verwies, dass sein Bulldog auch aus der Zeit stammt. „Bisher hat sich noch keiner beschwert, dass mein Getreide oder meine Milchprodukte schlecht wären.“
„Eigentlich habt ihr ja recht“, sagte Löther schließlich. Er erklärte sich bereit, einen Volkshochschulkurs über das Auto und die Zwangsarbeit im Dritten Reich zu sponsern. Und weil „Bücherkisten“-Inhaber Walter Schwielow für dieses Wochenende die „lange Nacht der Bücher“ ausgerufen hatte und bis Mitternacht seinen Laden offen hielt, ging er nach dem Stammtisch noch in den Buchladen und erstand ein einschlägiges Werk. „Aber mein Auto behalte ich trotzdem“, grummelte er.
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