Nummer 42: Busstau auf dem Marktplatz

Beim Nahverkehrs-Wettbewerb siegte Nostalgie über Moderne

Etwashausen (Eig.Ber.) Beim Buswettbewerb über Weihnachten hat die Nostalgie die Moderne glatt stehen lassen. Es siegte ein historischer O 3500 vor dem bisher eingesetzten einstöckigen Linienbus aus aktueller Produktion. Bis der Wettbewerb entschieden war, musste die Stadt wegen des erhöhten Andrangs großer Fahrzeuge allerdings mit ungewohnten Straßenverkehrsproblemen fertig werden.

Die Wettbewerbteilnehmer stauten sich bei der Einfahrt auf den Marktplatz.

Bürgermeister Wilhelm Meyer hatte nach zahlreichen Beschwerden darüber, dass der neue dunkelblaue Linienbus nicht ins Etwashausener Straßenbild passe, zu einer für ihn sehr ungewöhnlichen Maßnahme gegriffen. Er ließ die Bürger in einer dreitägigen Aktion ihre Meinung kundtun und versprach außerdem noch, sich nach dem Ergebnis zu richten. „Das ist gelebte Demokratie“, sagte er am dritten Advent bei der Weihnachtsfeier des Etwashausener Seniorenclubs. Der Seniorenbeauftragte Mario Anhalt stellte seiner Nachbarin leise, aber doch hörbar, daraufhin die rhetorische Frage, ob denn schon wieder Wahlkampf sei. Diese entgegnete treuherzig: „Er will uns doch nur eine Weihnachtsüberraschung machen.“

Busankunft am Güterbahnhof. Hinten links der O 302 Road Runner, rechts der neueste Typ Berliner Doppeldecker, ein MAN „Lions City“ in der „Creadicto“-Lackierung. Auf der Rampe der O 3500, und auf dem Waggon vorn rechts ein Pullman-Postbus von Mercedes.

Jedenfalls machte der Bürgermeister Ernst mit seiner Ankündigung und veranlasste, dass mehrere Omnibusse unterschiedlicher Größen in den Weihnachtstagen in Etwashausen den öffentlichen Nahverkehr bestreiten sollten. Daraufhin wurden ausgewählte Busse am Güterbahnhof angeliefert und versahen anschließend jeweils ein paar Tage lang den Liniendienst immer abwechselnd.
Genoveva F., die aus bekannten Gründen selten selbst Auto fährt, hat alle Busse getestet. Anschließend erklärte sie: „Keiner erfüllt die Symbiose zwischen Nostalgie und modernem Nahverkehr so überzeugend wie der O 3500. Am schicksten sieht ja der Doppeldecker aus. Aber da drin wird einem immer so schnell schlecht, besonders wenn er mitten in der Nacht über die Bahnübergänge ruckelt.“

Rendez-vous am Markt: Näher durfte auch der EN-Fotograf nicht an die wertvollen Busse heran.

Als Höhepunkt seiner Aktion hatte sich Meyer etwas Besonderes einfallen lassen, nämlich eine Busparade auf dem Marktplatz. Eigentlich dazu gedacht, dass sich die Leute noch einmal in der Gesamtschau eine Meinung bilden könnten, führte der Andrang der Busse zu einem veritablen Verkehrschaos in der Stadt.
Nicht nur der Marktplatz war verstopft, sondern auch im südlichen Teil der Hauptstraße ging bald gar nichts mehr. Überall standen Busse im Weg. Und die Abgasbelastung nahm für Etwashausen so ungewöhnliche Formen an, dass sich der Feinstaubbeauftragte Wilhelm Meiserich mit dem Grünen-Stadtrat Bernd Meyer („mit dem Bürgermeister weder verwandt noch verschwägert“, wie er immer betont) zusammentat, um eine Eingabe zu formulieren. Bei dem Versuch, dafür Unterschriften zu sammeln, stießen sie jedoch auf taube Ohren. „Jetzt stell dich nicht so an“, sagte Sozialarbeiter Hans-Jürgen Kummer zu Meiserich. „Da kann das Volk mal mitbestimmen, und schon habt ihr wieder was zu meckern. Also ich unterschreib’ da nicht.“
Die Wahl fiel schließlich auf den alten, in freundlichem Hellblau und Altweiß gestrichenen O 3500. 24 Etwashausener stimmten für ihn, während der auf dem zweiten Platz gelandete Doppeldecker trotz seines schicken creadicto-Designs und seiner modernen Ausstattung nur 21 Stimmen bekam. Meyer sicherte bei der Ausrufung des Siegers zu, dass der alte Langhauber mit den neuesten Abgasreinigungsanlagen ausgestattet wird.

The Winner is: Mercedes-Benz 0 3500. Hier vor seiner ersten Linienfahrt.

Noch zwischen den Jahren nahm das neue Schmuckstück den Liniendienst vom Marktplatz über den Bahnhof entlang der Hauptstraße auf. Zu den ersten Fahrgästen gehörte Genoveva. Sie ließ sich zum Dorfkrug chauffieren. „Da gibt es vor der Tür eine Haltestelle, das macht es mir einfach“, sagte sie. Und ihren Lieblingsplatz hat sie auch schon auserkoren: „Gleich vorne rechts in der ersten Reihe. Da bin ich ganz schnell draußen, falls mir wirklich einmal schlecht wer- den sollte.“

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