Bahn und Stadt denken über Lösungen nach – Haftungsfrage völlig offen
Sommerzeit brachte Chaos
Etwashausen (Eig.Ber.) Seit einer Woche spielen die öffentlichen Uhren in Etwashausen verrückt. Der Glöckner des Pfarramts, Hermann Unruh, teilte mit, sie hätten offenbar die Umstellung auf die Sommerzeit nicht verkraftet. Unruh ist auch für die Wartung der Kirchturmuhr zuständig. Wie das Problem gelöst werden soll, ist noch völlig offen. Stadt und Bahn streiten über die Kosten der Reparatur.
„Man denkt ja, man ist betrunken“, schimpfte die stadtbekannte Alkoholikerin Genoveva F. beim Stammtisch im Dorfkrug. „Jede Uhr in Etwashausen zeigt etwas anderes!“
T atsächlich kann von Synchronisation der öffentlichen Uhren in der Stadt seit der Umstellung auf die Sommerzeit nicht mehr die Rede sein. Die Bahnhofsuhren gehen eine gute Dreiviertelstunde nach, die große Uhr aus den 60er Jahren am Stellwerk des neuen Güterbahnhofs geht sechs Stunden vor (oder nach, je nachdem aus welcher Perspektive man es sieht). „Bei der Bahn ist es nicht so wichtig“, meinte Regionalbeauftragter Gerhard Schlupp. „Wer erst einmal am Bahnhof ist, der kann seinen Zug ja nicht mehr verpassen.“ Deshalb sei es jetzt auch nicht so dringend, die Uhren zu reparieren. Nicht gelten lassen wollte er die Ansicht des Traditionsbeauftragten Herwig Stier, gerade die Bahn lege doch seit Jahrhunderten viel Wert auf Pünktlichkeit und Genauigkeit. „Wem die Zeit an den Bahnhofsuhren nicht passt, der soll auf seine eigene Uhr gucken“, beendete Schlupp die Debatte. „Niemand wird gezwungen, sich an der Bahnhofsuhr zu orientieren.“
Auf die Frage, woran es eigentlich liege, dass die Uhren falsch gehen, murmelte Schlupp etwas von einem Funksignal aus Braunschweig, das nicht richtig angekom- men sei. „Ach ja, wieder mal eine Signalstörung. Die Ausrede kennen wir schon von den Zügen“, sagte Buchhändler Walter Schwielow. Bei der Stellwerksuhr liege es daran, dass das Werk wegen mangelnder Qualität des Metalls auf die ungewöhnlichen Temperaturen mit ungewöhnlichen Formveränderungen reagiere. „Manche nennen es auch Zinkpest“, sagte Schlupp. Wer die Reparaturkosten trage, sei noch offen.
Ganz schlimm ist es mit der historischen Turmuhr. Sie zeigt 4.55 Uhr, und die Zeiger bewegen sich kein Stück mehr von der Stelle. „Das bringt Unglück“, orakelte Anni Sche- rer vom Gemischtwarenladen, die für ihren Aberglauben bekannt ist.
Das letzte Mal sei sie am 24. September 1869 stehen geblieben, sagte Unruh, der extra in den Annalen der Gemeinde nachgeguckt hatte. „Aber während beider Weltkriege ist sie durchgehend gelaufen. Nur bei Fliegeralarm haben wir das Schlagwerk stillgelegt.“ Er stellte eine Reparatur noch im Frühjahr in Aussicht. „Der Turmuhrmacher, den wir aus Thüringen kommen lassen, hat erst in einigen Wochen einen Termin frei.“
Willi Vermöhlen vom Rundfunksender „Die 79er FM“ schlug vor, die „Etwaigen Nachrichten“ sollten als Prämie für ein Halbjahresabo Uhren verschenken. Reporterlegende Fritz P. lehnte ab. „Es geht ja eigentlich nicht darum, dass es zu wenig Uhren gibt, sondern dass jede Uhr eine andere Zeit anzeigt.“
Ja dann“, sagte Schlupp, „dann lassen wir den Kram mit den Uhren einfach. Jeder soll seine eigene Uhr mitbringen.“ Es wäre nicht das erste Mal, dass die Bahn Uhren stilllegt, anstatt sie zu reparieren. Auch vor der vermutlich denkmalgeschützten Uhr im Bahnhof Berlin-Wannsee hat sie keinen Respekt.
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