Nummer 58: Alter Wagen soll neue Heimat finden

Historisches Fahrzeug kam in den Garten der weißen Villa

Der Güterzugbegleitwagen am Haken des Krans im Güterbahnhof. Das Absetzen auf dem Straßenroller war gar nicht so einfach.

Etwashausen (Eig.Ber.) Mit großem Aufwand ist am Dienstag ein ausgedienter Waggon vom Güterbahnhof in die Siedlung transportiert worden. Er soll im Garten der Villa von Gerhard S. eine neue Heimat finden. Noch ist aber nicht sicher, ob daraus ein dauerhaf- ter Aufenthalt wird. Dem Nachbarn Dr. Löther ist die Aktion gar nicht recht.

Der Güterzugbegleitwagen, der seit den 1920er Jahren bei der Reichs- und dann bei der Bundesbahn Dienst getan hat, trat seine mutmaßlich letzte Fahrt auf der Straße an. „Die Hauptstrecke können wir für solchen Firlefanz nicht sperren“, erwiderte der Bahn-Regionalbeauftragte Gerhard Schlupp, als S. anregte, den Waggon mit einem Schienenkran direkt von der Hauptstrecke, an die sein Garten grenzt, auf das bereits einbetonierte Gleis zu hieven.
S., der als neureich gilt, machte diesem Vorurteil alle Ehre, als er erklärte: „Egal, was es kostet, der Pwg (bahninterne Abkürzung für solche Fahrzeuge, Red.) kommt in meinen Garten.“ So musste extra der Straßenroller aus Neustadt bestellt werden. Mit kritischen Augen sah Güterbahnhofs-Chef Jürgen Vogel die Verladung des Waggons mit dem großen Drehkran. Er ist offiziell für zehn Tonnen am Haken zugelassen; das gilt allerdings für die weiteste Stellung des Auslegers. Der Pwg wog 10,8 Tonnen. Sicherheitshalber hatten die Arbeiter den gusseisernen Ofen ausgebaut, an dem sich einst die Bremser und Zugbegleiter wärmten. Der Kran zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen.

Komplizierte Rangiermanöver waren nötig, um in S.’ Garten zu fahren.

Etwa eine Stunde brauchte der Straßenroller für den Kilometer vom Güterbahnhof zum Wiesenweg. Mit komplizierten Rangiermanövern schob die Zugmaschine den Rollwagen über die Weide von Bauer Hartmut Wolf zu dem im Garten bereits verankerten Gleis. Der Umstand, dass Wolf das klaglos hinnahm, dürfte einer üppigen Zuwendung von S. zu verdanken sein.

Selbst der Autokran musste beim Übergang vom Rollwagen auf das Gleis helfen. Die Kühe von Bauer Wolf betrachten die Aktion mit großem Interesse.

Während die Stationierung noch in vollem Gange war, rief Löther im Rathaus an. Beim Bauamt wies er darauf hin, dass das Gleis, auf dem der Wagen aufgestellt werden soll, nur 1,50 Meter von seiner Grenze entfernt endet. „Und überhaupt: Braucht man für so was nicht eine Baugenehmigung?“ Sachbearbeiterin Hedwig Munke war sich nicht sicher: „Ich frage mal nach“, sagte sie.
Bürgermeister Wilhelm Meyer verwies auf Anfrage der „Etwaigen Nachrichten“ auf einzelne Urteile, in denen die Frage durchaus unterschiedlich beantwortet worden sei. Stadtratskreise erinnerten daran, dass S. schon mehrfach als großzügiger Spender in Erscheinung getre- ten sei, aber auch daran, dass er vor nicht allzu langer Zeit von der Steuerfahndung verhört wurde. „Dazu können wir natürlich nichts sagen; das ist ja ein schwebendes Verfahren“, hieß es im Rathaus.
Löther sagte im EN-Gespräch nur: „Wo kämen wir denn da hin, wenn sich jetzt jeder seinen Zug in den Garten stellt?“ S. dagegen ließ während der Aufstellung beiläufig die Frage fallen, ob Löthers alter Mercedes 540 K wirklich noch der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung ent- spricht. Und so ist anzunehmen, dass der Streit bald mit einem Vergleich endet.

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Reporterlegende Fritz P.
Etwaige Nachrichten
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Etwashausen

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