Nummer 86: Geheime Lieferung aus Amerika

Polizei begleitete mysteriöse Kiste zur Buchhandlung

Am Marktplatz die Diskretion zu wahren, gestaltete sich erwartungsgemäß schwierig. Polizeiobermeister Siegfried Rudolph drohte den Marktfrauen vergeblich mit Bußgeldern für irgendwas, damit sie sich auf andere Dinge konzentrierten.

Etwashausen, 2. August (Eigener Bericht) Unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen ist eine Büchersendung aus Amerika in der Stadt eingetroffen. Die Polizei versuchte zwar, den Einsatz zum Schutz des offenbar sehr wertvollen Guts geheim zu halten, aber dank der Neugier der Bürger gelang dies nicht. Manche mutmaßten, es sei extra so ein Aufwand getrieben worden, um den Absatz der Buchhandlung am Marktplatz anzukurbeln.
Die unauffällige dunkle Holzkiste mit den Büchern wurde nicht wie üblich am Güterbahnhof, sondern in dem umfriedeten Gelände der Farben AG angeliefert und entladen. In den Güterwagen fuhr ein Begleiter mit. Bevor sie auf das Fabrikgleis geschoben werden durften, unterzog die Polizei Lokführer und Gabelstaplerfahrer einer Sicherheitsüberprüfung.
Zufällig sah Genoveva F. von ihrem Platz am Stammtisch des gegenüberliegenden
Dorfkrugs aus, wie die Polizei eintraf. „Da ist etwas ganz Geheimes im Busch“, sagte sie am Telefon zu Reporterlegende Fritz P. Der fuhr sofort zur Farben AG, und so gelang es den „Etwaigen Nachrichten“ trotz aller Versuche der Geheimhaltung, die Umladung auf einen eigens nach Etwashausen gebrachten Lkw im Bild festzuhalten. Wie sich dabei herausstellte, war mit der ganzen Aktion eine für ihre Diskretion bekannte Firma aus dem fernen Göppingen beauftragt worden. Der Laster fuhr anschließend, geschützt durch den alten Polizei-Mercedes, zum Buchladen am Marktplatz. Mit einer Reihe von Rangiermanövern versuchte der Fahrer, den Lkw so zu platzieren, dass die im Freien sitzenden Kunden des Gasthofs zur Post nicht sehen konnten, was da vor sich ging. Das gelang ihm zwar, aber er schuf damit automatisch eine offene Flanke zu den Obstständen, deren Betreiberinnen für ihre „offensive Kommunikation“ bekannt sind, wie es Polizeiobermeister Siegfried Rudolph in einem Anflug von Höflichkeit formulierte.

Am Fabrikgleis der Farben AG wurde die unauf- fällige braune Kiste entladen. Selbst der Gabelstaplerfahrer wurde angeblich einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen.

Kaum war die Lkw-Plane hoch gerollt, drehten sich die Köpfe der Marktfrauen zum Geschehen hin. „Das muss ich gleich meiner Freundin erzählen“, sagte eine von ihnen. Rudolph versuchte mit eingehender Untersuchung der Verkaufslizenzen und Standgenehmigungen sowie mit der Drohung mit Bußgeldern für alles Mögliche ein Ablenkungsmanöver, provozierte damit aber nur höhnisches Gelächter: „Ach lassʼ diese Einschüchterungsversuche. Du weißt doch, dass das bei uns nicht wirkt!“
Manche Frauen hatten ihre Männer im Verdacht, sich im Buchladen mit zweifelhaftem Material zu versorgen und dachten, das werde jetzt gerade angeliefert. Sie wandten sich erst wieder ihrem Obst- und Gemüseverkauf zu, als Buchhändler Walter Schwielow sie mit der Erklärung zufrieden gestellt hatte, dass es sich nur um technische Sachbücher handele, die auch noch teilweise in englischer Sprache verfasst worden seien.
Das wiederum kam dem Grünen-Stadtratsmitglied Bernd Meyer zu Ohren. „Wenn das so ist, frage ich mich: Warum dieser ganze Aufwand?“ Er formulierte sofort eine Kleine Anfrage an den Bürgermeister,
wieso für eine solche Lappalie Polizeibegleitung bereitgestellt werde. Dafür müsse doch nur wieder der Steuerzahler aufkommen, schrieb er. „Außerdem wird um Auskunft gebeten, wieso ein Unternehmen aus Süddeutschland mit der Abwicklung beauftragt wurde.“ Meyer drohte mit einem Untersuchungsausschuss über die Sommerpause.

Ein Blick auf die Bücher. Noch ist nicht klar, warum deswegen so ein Aufstand gemacht wurde.

Nachfragen der „Etwaigen Nachrichten“ ergaben jedoch, dass sich die übrigen Oppositionsparteien einer entsprechenden Forderung nicht anschließen wollten. „Ich will in den Ferien in Ruhe ein paar Bücher lesen“, entgegnete FDP-Stadtrat Rico Osterloh. „Ja, ich habe sie bei Schwielow gekauft“, ergänzte er. Schwielow selbst sagte auf einer Pressekonferenz am Abend, er werde jetzt neben neuen Büchern auch antiquarische Werke anbieten. Wegen des großen Interesses der Etwashausener Bürger für ihre Bahn versuche ich es zunächst mit Titeln über das Eisenbahnwesen“, erläuterte er und zeigte einige davon in einem eigens mitgebrachten Regal. Sie seien aus dem Nachlass eines amerikanischen Eisenbahnbarons aus dem 19. Jahrhundert ersteigert worden. Auf die Frage nach dem süddeutschen Spezialunternehmen sagte er, für dessen Kosten komme er selbst auf. Die Firma selbst gab keine Presseauskünfte.
Meyer, der auch bei der Veranstaltung anwesend war, erklärte anschließend vor der Presse, er habe echte Zweifel, dass die Bücher so wertvoll seien, wie von Schwielow angegeben. „Ich glaube, der wollte nur eine vom Steuerzahler finanzierte Reklameaktion haben.“ Hans-Karl Ulrich, der Sprecher des Bürgermeisters, sagte dazu, es habe keine nennenswerten Extrakosten gegeben. Der Polizeiwagen habe ohnehin mal wieder bewegt werden müssen, und die Beamten hätten keine Überstunden gemacht. Außerdem sei es für die Sicherheit in Etwashausen wichtig, dass die Ordnungskräfte hin und wieder ihr Können öffentlich unter Beweis stellten.

... berichtet regelmäßig in den “Etwaigen Nachrichten” (EN) über die Ereignisse in Etwashausen. Sie erreichen Fritz P. per Elektronischer Post über das Kontaktformular oder über folgende Anschrift:

Reporterlegende Fritz P.
Etwaige Nachrichten
Hauptstraße / Markt
Etwashausen

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