Neue Methode der Streckenkontrolle vorgestellt – Belegschaft skeptisch
Etwashausen (Eig.Ber.) Die Bahnstrecken der Direktion Etwashausen werden künftig mit einem Zwei-Wege-Fahrrad kontrolliert. Der Regionalbevollmächtigte Gerhard Schlupp stellte am Samstag die neue Errungenschaft vor. Das Fahrrad ist eine Erfindung, die ihre wesentliche Weiterentwicklung zum beamtentauglichen Schienenfahrzeug vor genau 100 Jahren erfahren hat.
Schlupp äußerte die Hoffnung, dass sich durch die Einführung des neuen Arbeitsgeräts die Bilanz der Infrastruktursparte der Bahn deutlich aufbessern lasse. „Mit dem Fahrrad ist die Streckenkontrolle schneller erledigt, und so können wir Mannstunden einsparen“, meinte er, nicht ohne anzufügen, dass selbstverständlich kein Eisenbahner entlassen werde.
Darüber hinaus stellte er die Anschaffung eines Turmtriebwagens in Aussicht, „sozusagen als Basisstation für die Radfahrer“, von dem aus dann die Arbeiten an der Strecke und an der Oberleitung koordiniert werden könnten. Er räumte ein, dass das Fahrrad für die Arbeiten an der Oberleitung nicht gerade das geeignete Mittel sei.
Die Perfektion des Gleisfahrrades geht auf den Danziger Ingenieur O. Grashoff zurück, wie das „Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens“ 1907 berichtete. Aus Anlass der Vorstellung des Rades in Etwashausen hatten die EN Gelegenheit, in den Archiven der Deutschen Bahn Einblick in den betreffenden Artikel des Regierungsbaumeisters A. Honemann aus Danzig-Langfuhr zu nehmen. Er bilanziert seine Testfahrten mit dem Gerät mit den Worten „vorzügliches Ergebnis“. Eine Reihe von Illustrationen zeigt die Modifikationen an dem Fahrrad.
„Das Lenkrad wird mittels der Gabel durch das Führungsrad beweglich geführt; das Rad hat einen inneren Spurkranz und einen äußeren, welcher kegelförmig gestaltet ist, um das Aufsteigen des Rades auf Flügelschienen zu erleichtern und das Festklemmen zwischen einer anliegenden Weichenzunge und einer Backenschiene zu verhindern“, schreibt Honemann. „Die Abnutzung der Gummireifen wird bei dem Fahrrade sehr gering sein, da die Oberfläche der Schienen keine scharfen Grate aufweist und auch fast vollständig frei von Öl ist.
Kaum Probleme dürfte es mit dem Umstand geben, dass sich das Gewicht des Fahrrades „durch die Vorrichtungen um etwa 8 kg erhöht“, meinte Honemann, denn „das neue Gleisfahrrad ist so leicht, dass es von dem Fahrer allein an jeder beliebigen Strecke aus dem Gleise gehoben werden kann. Es ist daher auch mit Sicherheit zu erwarten, dass trotz erhöhter Benutzung des Gleisfahrrades die dadurch verursachten Beförderungs-Gefährdungen seltener werden.“
Ein leider namentlich unbekannt gebliebener Eisenbahner der Kaiserzeit präsentiert sich auf einem Bild stolz mit dem Grashoffschen Gleis- fahrrad dem Publikum des „Organs“.
Im Gegensatz zu ihm hatten die Eisenbahner der heutigen Zeit bei der Präsentation dann doch gewisse Bedenken. „Die Vorstellung, ich sollte mit dem Fahrrad auf einer ICE-Strecke fahren, jagt mir einen Schauer über den Rücken“, klagte ein Streckengeher. „Bis ich das Ding aus den Gleisen gehoben habe, ist der längst über mich weggefahren.“
Auch hinsichtlich des Arbeitskomforts gab es Einwände. „Das hat ja nicht einmal eine Gang- schaltung, und Schutzbleche sind auch nicht da“, monierte einer von ihnen. Es zeichnet sich ab, dass vor der regelmäßigen Benutzung des Gleisfahrrades noch der Personalrat entscheiden müssen wird.
Angesichts der versammelten Pressefotografen wagte sich dann aber doch einer der Streckengeher zu einer Probefahrt auf das Rad, fuhr auf der Straße bis zum Bahnübergang, hob dort das Rad auf die Schienen – nicht ohne hörbar zu ächzen – und radelte auf Gleis 2 in den Bahnhof ein. Er wurde mit großem Hallo empfangen.
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