Nummer 93: Funkenflug beunruhigt Anwohner

Neue Stromabnehmer rufen Wahrsager auf den Plan

Untersuchungskommission auf dem Lokdach: Der eigenartige Funkenflug am Dachstromabnehmer soll gründlich untersucht werden. An ein überirdisches Zeichen wollen die Eisenbahner nicht glauben.

Etwashausen, 22. November (Eigener Bericht) Eine Neuerung auf dem Dach einer E-Lok versetzt die halbe Stadt in Unruhe. Die neuen Dachstromabnehmer blitzen und funken unerklärlicherweise besonders häufig. Deshalb haben einzelne Bürger bereits Rat und Hilfe bei der Wahrsagerin am Marktplatz gesucht.
Selbsternannte Fachleute meldeten sich sofort mit Analysen zu Wort: „Das sind Elmsfeuer“, sagte Grünen-Stadrat Bernd Meyer. Bauer Wolf widersprach: „Die gibt es nur bei Gewitter. Es funkt aber auch, wenn die Lok ohne Gewitter fährt.“
Der Regionalbeauftragte Gerhard Schlupp wollte Lokführer Wieland Hellmich einen Verweis erteilen, erntete dafür aber heftigen Widerspruch von Hellmichs Kollegen Horst Schulz. „Was können wir denn dafür, wenn es über unserem Dach funkt?“ Auch Heizer Martin Schell, der in der Gewerkschaft war, protestierte. „Hellmich kann doch nichts dafür“. argumentierte er. „Egal, irgendjemand muss schuld sein“, meinte Schlupp noch, lenkte dann aber ein und bildete eine Untersuchungskommission. Ihr sollten Güterbahnhofschef Jürgen Vogel – die E 40 ist eine Güterzuglok – und Technikexperte Gerd Meilutat angehören. Auf dem Marktplatz waren die mysteriösen Blitze ein Dauerthema. Gemüseverkäuferin Helene Kurz, die bei Bedarf in Etwashausen als Wahrsagerin tätig wird, sagte mit undurchsichtigem Blick: „Das ist ein schlechtes Omen.“ Noch schlimmer als Blitz und Donner beim Gewitter, die den Zorn des Himmels anzeigten, seien Blitze ohne Gewitter. „Er kann sich nicht richtig austoben, der Zorn staut sich auf und entlädt sich dann umso schlimmer“, unkte sie.

Diskussion am Gemüsestand. Ist es der Zorn des Himmels?

Genoveva, die gerade ein Pfund Rosenkohl gekauft hatte, entgegnete: „Das hat bestimmt irgendwas mit der Technik und nichts mit dem Himmel zu tun.“ Klaus-Dieter Schulze-Hartnack, der Alt-68er, der neben ihr stand, fragte Helene mit todernster Miene: „Sollen wir uns jetzt vor lauter Angst hinter dem Ofen verkriechen?“ Die Gemüsefrau ruderte mit den Armen: „Bloß nicht, dann fährt der Zorn durch den Schornstein auf dich nieder.“

Ganz schwer zu fotografieren, aber Bernd Klein schaffte es: Funken am Dachstromabnehmer.

Posthauptschaffner und Hobbyfotograf Bernd Klein versuchte aus seinem Zimmer im dritten Stock unmittelbar an den Gleisen die funkende Lok zu fotografieren. Tatsächlich gelangen ihm einige, allerdings sehr
grobkörnige Aufnahmen. „Es hat weder geregnet noch gedonnert“, sagte er, als er die Bilder im Dorfkrug herumreichte. „Es war einfach nur Nacht.“ Das wollte Helene so nicht gelten lassen. „Ich sagʼs euch: Dieser ganze elektrische Kram ist Teufelszeug!“ Schon die Seefahrer hätten bei Elmsfeuer ihren Heiligen Erasmus angerufen. „Und? Hat es geholfen?“, fragte Schulze-Hartnack. „Manchmal“, wusste Helene. „Aber gerade, weil so selten über Elmsfeuer berichtet werde, müsse man daraus schließen, dass die meisten, die sie je gesehen hätten, umgekommen seien.
Genoveva nippte an ihrem Weinglas. „Also ich finde diese Seefahrergeschichten ja ganz abenteuerlich“, sagte sie, „aber hier in Etwashausen…?“ Helene war fast beleidigt . „Wir werden es ja sehen. Ich mache jedenfalls jetzt nachts das Fenster zu.“ Schulze- Hartnack sagte: „Vielleicht sollten wir in diesem Fall mal der Untersuchungskommission vertrauen. Die Techniker müssen es ja wissen.
Da kam Technikexperte Meilutat an den Stammtisch. „Elmsfeuer entstehen bei hohen Potenzialunterschieden in der Atmosphäre“, erklärte er. Gefährlich sind sie, weil es dann auch Blitze geben kann und ein Blitzeinschlag eben immer gefährlich ist.“ Aber die Funken an der Lok
seien keine Elmsfeuer. Auch Meilutat hatte Bilder dabei. Auf beiden waren Stromabnehmer zu sehen.

Auf dem einen (rechts) waren die Gelenke der Drahtgestelle geschwärzt. „Hier hat es gefunkt, und durch die Hitze ist die rote Farbe angeschmort“, erläuterte er. „Und hier“, er deutete auf das andere Foto (links), „sehen wir den bis jetzt noch nicht benutzten Pantographen über dem Führerstand eins. Kein Fünkchen. Keine Schmorstelle.“
Es habe einfach dran gelegen, dass die rote Farbe die Leitfähigkeit des Stromabnehmer einschränkte und deshalb Funken übersprangen. „Wir feilen jetzt ein bisschen an den Gelenken, und dann wird alles wieder gut“, sagte er. „Dann kann ich ja hinter dem Ofen wieder herauskommen“, lachte Schulze- Hartnack. Helene errötete. Ich „muss jetzt gehen“, murmelte sie, zahlte ihr Mineralwasser und erhob sich. „Jetzt macht sie das Fenster zu“, meinte Genoveva.

... berichtet regelmäßig in den “Etwaigen Nachrichten” (EN) über die Ereignisse in Etwashausen. Sie erreichen Fritz P. per Elektronischer Post über das Kontaktformular oder über folgende Anschrift:

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