Undichte Stelle im Rathaus sorgt für Misstrauen
Konspiratives Treffen am Bahnhof von Wildenranna. Genoveva F. (im Vordergrund, neben ihrem Auto) beobachtet Klaus-Dieter S.-H. und einen mysteriösen Unbekannten im braunen Anzug. S.-H. gilt als einer derjenigen, die von den Informationen des Maulwurfs profitieren.
Etwashausen, 7. Juli (Eigener Bericht). Eine Spionageaffäre erschüttert die Stadt! 20 Jahre nach dem Ende des vorläufig letzten Überwachungsstaates auf deutschem Boden mehren sich Hinweise, dass vertrauliche Beratungen des Stadtrats auf dunklen Kanälen ihren Weg in die Öffentlichkeit finden. Nachdem die offiziellen Ermittlungen noch kein Ergebnis zeitigten, haben sich die „Etwaigen Nachrichten“ mit einer eigenen Recherchegruppe eingeschaltet und auch schon erste Hinweise gesammelt.
„Wir sind undicht“, sagte Bürgermeister Wilhelm Meyer mit hörbarem Entsetzen im Ton den „Etwaigen Nachrichten“ auf Anfrage. Die bisherigen Nachforschungen hätten noch nicht auf eine heiße Spur geführt.
Auf die Frage, welche Informationen nach draußen gedrungen seien und wie man auf den Verdacht gekommen sei, antwortete er: „Es hat sich eine Brauerei gemeldet, die auf das Gelände der Farben AG ziehen will, obwohl weder die Farben AG bereits beschlossen hat, wegzuziehen noch der Stadtrat irgendwelche Beschlüsse über die Weiterverwendung oder das Vorkaufsrecht gefasst hat.“ Die Brauerei habe sogar bereits wegen möglicher Förderung aus dem Standortsicherungsprogramm des Landes nachgefragt und konkrete Zahlen genannt. „Darüber haben wir in der letzten Sitzung beraten“, ächzte Meyer. „Das dürften die noch gar nicht wissen. So können wir doch nicht arbeiten!“
Die Polizei befragte zunächst die Stadträte, kam aber nicht weiter, wie Meyer andeutete. Daraufhin beschloss die Redaktion der „Etwaigen Nachrichten“, ihrerseits ein Team auf die Spur des Maulwurfs zu setzen. Es heißt „Etwaige-Nachrichten-Sonder-Recherchekommando (ENSORKO) Maulwurf“. „Möglicherweise erfahren wir bei der Suche noch ganz andere Dinge“, ergänzte Reporterlegende Fritz P. auf der Redaktionskonferenz, als er die Einrichtung des ENSORKOs unter seiner Leitung bekanntgab. „So ein Tier bringt ja beim Graben auch einen Haufen Dreck ans Licht“, erging sich Kulturredakteur Volker Müller, der immer seinen Senf dazu geben musste, in Bildern.
Im Einvernehmen mit Bürgermeister Meyer wurde beschlossen, alle Nachforschungen mit größtmöglicher Transparenz zu führen, damit der Betroffene merkt, wie er langsam eingekreist wird, und vielleicht zur Räson kommt. „Bestrafen können wird man ihn nicht“, meinte Meyer, „aber Stadtrat ist er die längste Zeit gewesen, wenn wir ihm auf die Schliche kommen.“
Für ENSORKO machte sich erst einmal Genoveva F. um Kontakte verdient. „Ich habe am Stammtisch gehört, dass der Alt-Kommunist Klaus-Dieter S.-H. hin und wieder mit ganz merkwürdigen Leuten zusammenkommt“, sagte sie und setzte sich auf seine Spur.
Zunächst fand sie nur heraus, dass er in Urlaub war. Ihre persönlichen Beziehungen zum Schalterpersonal der Bundesbahn halfen ihr bei der Bestimmung des Zuges, mit dem er zurückkommen sollte. Als der Personenzug in Etwashausen hielt, stand sie auf dem Bahnsteig, aber S.-H. stieg nicht aus, sondern blieb sitzen, wie sich Genoveva mit einem schnellen Blick durchs Fenster vergewisserte.
Schnell stieg sie in ihren Hotrod und fuhr dem Zug nach bis zur Endstation Wildenranna, wo er ja aussteigen musste. Und tatsächlich, da stand auch seine grüne Ente, und als der Zug ankam, stiegen S.-H. und seine neue Freundin aus. Während das Pärchen mit seinen Wanderrucksäcken auf dem Buckel zum 2 CV lief, fing ein Mann in einem braunen Anzug S.-H. ab.
„Steig’ schon mal ein“, bedeutete der seiner Freundin, und sprach etwa eine halbe Stunde mit dem Mann. Genoveva konnte zwar nicht alles verstehen, „sonst wäre es aufgefallen“, sagte sie Fritz P., „aber die Wörter ‚Brauerei’ und ‚Bier’ habe ich allemal verstanden. Die kenne ich gut. Und dann noch ein Wort wie Loisach. Damit kann ich aber nichts anfangen.“ Auch P. zuckte nur mit den Schultern. Nach dem Gespräch fuhr der braune Mann in einem altweißen Mercedes-Coupé weg, dessen Nummer Genoveva sich merkte.
Bürgermeister Meyer (rechts stehend neben seinem Dienst-Borgward) kommt zum Dorfkrug und wird von Genoveva empfangen. Ganz links der Leierkastenmann, wahrscheinlich eine nur unzureichend getarnte Spürnase.
Nach dem Rapport bei Fritz P. machte sie mit Meyer ein Treffen im Dorfkrug aus, um auch ihn zu informieren. Seine Prominenz erlaubte es dem Bürgermeister, grundsätzlich zu spät zu kommen, und so hatte sie noch Zeit, ein paar Worte mit dem Wirt Egon Pielke zu wechseln.
Dabei ergab sich, dass das Vertrauen der Etwashausener untereinander schon schwer angeschlagen war. „Siehst du dort vor dem Biergarten den Leierkastenmann?“, sagte der. „Der kommt mir ganz komisch vor. Ich glaube, der beschattet mich.“
„Vielleicht will er wissen, wieviel Bierumsatz du so machst“, mutmaßte Genoveva.
„Ich werde ihn mal fotografieren, das hilft bestimmt weiter“, schloss Pielke, als Meyer eintrudelte.
Genoveva schlug Meyer vor, in die Gaststube zu gehen, auch wenn es da ein bisschen stickig war in diesen Sommertagen, aber so konnte der Leierkastenmann nicht zuhören, was sie dem Stadtoberhaupt alles erzählte.
Fritz P. hatte inzwischen in Neustadt die dortige Verwaltung der Brauerei aufgesucht und mit dem Geschäftsführer ein Interview geführt. Darin bestätigte der zwar, dass man an einer Verlagerung nach Etwashausen interessiert sei, wies aber jegliche Verbindung zu eventuellen Spionen im Stadtrat mit Abscheu und Empörung zurück.
Auf der Rückfahrt musste die Reporterlegende am Bahnübergang westlich der Forsthauskurve warten. Dabei bemerkte er einen Mann, der sich im Schatten des dortigen Mehrfamilienhauses herumdrückte und Notizen machte.
Er konnte ihn gerade noch ablichten, bevor der Personenzug den Übergang erreichte.. Als der letzte Wagen vorbei war, war auch der Mann weg. „Irgendwie sah er aus wie ein bekannter Stadtrat“, sagte P. leise zu Meyer, als er ihn abends anrief. „Den Namen nenne ich nicht, bevor ich keine Beweise habe.“ Deshalb erscheint er auch noch nicht in dieser EN-Ausgabe. Aber ENSORKO bleibt dran.
Noch nicht geklärt ist die Rolle dieses Mannes, der sich im Schatten des Mehrfamilienhauses neben dem Bahndamm bei der Forsthauskurve herumdrückt.
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