Projekt von Bauer Wolf löst kontroverse Diskussion aus –
Etwashausen, 06. Januar (Eigener Bericht) In der Stadt ist ein heftiger Streit um die Zulässigkeit von Kuhglocken am Hals von Rindern entbrannt. Einige Interessengruppen sprachen sich dagegen aus, Traditionalisten und allen voran Bauer Hartmut Wolf plädierten dafür. Der Stadtrat sucht nach einem Kompromiss.
Bislang trugen Wolfs Kühe keine Glocken. Vor einigen Tagen aber büxte eines der Tiere über den an die einzige Weide der Stadt angrenzenden Bahndamm aus, und Wolf musste sein ganzes Fährtensucher-Talent einsetzen, um es im Unterholz des nahegelegenen Waldes wiederzufinden. „Da habe ich mich entschlossen, den Tieren Glocken umzuhängen“, sagte er im Exklusiv-Interview der „Etwaigen Nachrichten“.
Bevor er zur Tat schritt, sprach er am Stammtisch darüber. Das hätte er lieber nicht tun sollen, denn er erntete unerwartet starken Gegenwind. Es formierten sich Fronten im Dorfkrug und mittlerweile auch im Stadtrat, die für beziehungsweise gegen das Geläut auf der Weide plädierten. Der Glöckner der Etwashausener Stadtkirche, Hermann Unruh, wandte sich mit dem Argument dagegen, die akustische Zeitanzeige der Turmuhr werde dadurch in der Wahrnehmung beeinträchtigt. Ferner würden die kirchlichen Absichten des Läutens entweiht, „wenn hier jedes Rindvieh unkontrolliert herumbimmeln kann“. Zu Wolfs Überraschung sprang Bahnhofsvorsteher Jacob Claus dem Glöckner bei. „Am Bahnübergang der Straße nach Neustadt werden die Verkehrsteilnehmer durch das LP-Signal der Lokomotiven gewarnt“, gab er zu bedenken, „da könnten die Kuhglocken irritierend wirken.“ Das LP-Schild verpflichtet den Triebfahrzeugführer zur Betätigung des Läutsignals, „bis die Zugspitze den Bahnübergang erreicht hat“ (Signalbuch der DB) und zur mindestens zweimaligen jeweils drei Sekunden langen Betätigung des Pfeifsignals.
Kurze Zeit später hatte sich die Diskussion weit über den Stammtisch hinaus ausgedehnt. Siedlungsbewohnerin Helga Müller-Lange brachte vor, dass die Tiere durch die schweren und bis zu 113 Dezibel lauten Glocken am Hals gequält würden. „Wahrscheinlich geben sie dann weniger Milch, und das Fleisch schmeckt sicher auch schlechter“, kritisierte sie. „Woher wollen Sie denn das wissen? Sie sind doch Vegetarierin!“, konterte Wolf. Denkmalschützer Hans Kehrwieder grub alte Dokumente zur Stadtgeschichte aus, denen zufolge glockenbehängtes Rindvieh in Etwashausen bis zum späten 19. Jahrhundert an der Tagesordnung war. Das Geläut war und ist mit offizieller Urkunde erlaubt. Es endete nur, weil der Glocken-Lieferant, eine Göppinger Metallwarenfabrik, die Produktion zugunsten profitableren Spielzeugs einstellte. Mit den Worten: „Schauen Sie mal, was ich gefunden habe“, präsentierte Kehrwieder stolz die einschlägigen Papiere und eine Märklin-Kuhglocke aus dem stadthistorischen Fundus.
Müller-Lange parkte verbotswidrig ihr Mercedes-Cabrio vor dem Rathaus und machte Bürgermeister Wilhelm Meyer einen Besuch, um ihm eine von fünf Anwohnern unterschriebene Petition gegen das Tragen von Kuhglocken in Etwashausen und Umgebung zu präsentieren. Noch bevor sie das Amtszimmer betrat, hatte Polizeiobermeister Siegfried Rudolph dem Daimler schon einen Strafzettel verpasst. Auch Meyer runzelte die Stirn. „Ich kann eigentlich nichts dagegen machen“, sagte er unter Verweis auf die Urkunden, die nach wie vor gültig seien.
Müller-Lange erwähnte die zahlreichen Spenden ihres Mannes zur Stadtverschönerung und regte einen Stadtratsbeschluss an, mit dem die alte Erlaubnis wegen der neuen Erkenntnisse über das Tierwohl widerrufen wird. Meyer sagte: „So einfach ist das nicht.“ Das einzige, was er machen könne, sei die Einschaltung eines unabhängigen Mediators, auf dessen Empfehlung hin sich der Stadtrat mit der Thematik auseinandersetzen könnte, wenn er das mehrheitlich wolle. Man einigte sich auf Anwalt Michael Fürst. Müller-Lange wollte sogar dessen Honorar übernehmen, woraufhin Meyer sie recht deutlich auf das Ende der Audienz hinwies. Kurz nachdem sie sein Amtszimmer verlassen hatte, erschien sie mit hochrotem Kopf schon wieder in der Tür und beschwerte sich über das Knöllchen am Scheibenwischer. Meyer, der immer mehr Sympathien für die Glockenidee entwickelte, nahm sich vor, die Beauftragung von Anwalt Fürst aus administrativen Gründen so lange wie möglich hinauszuzögern: „Die Kuh muss doch irgendwie leichter vom Eis zu kriegen sein.“