Alle Mercedes 260 müssen zur Überprüfung ins Werk
Etwashausen, 17. Dezember (Eigener Bericht) – Stau im Güterbahnhof! Der Grund: Alle Diesel-Pkw aus Etwashausen müssen zur Überprüfung ihrer Rahmen ins Werk. Das hat Verkehrsdezernent Werner Krakauer am Montag entschieden. Die Besitzer wurden zunächst schriftlich von der Pflicht in Kenntnis gesetzt. Das Schreiben enthielt eine Aufforderung, die Pkw bis zum 16. Dezember, 18:00 Uhr, am Güterbahnhof vorzufahren, wo sie per Bahn geschlossen zur Prüfung gebracht werden sollen. Hintergrund ist eine historische Warnung vor Rahmenrissen und -brüchen wegen der starken Vibrationen des Motors.
Die Autos werden ins Werk Untertürkheim gefahren und dort mit modernsten Methoden auf die Stabilität des Rahmens überprüft. Stellen die Prüfer Mängel fest, beheben sie sie unentgeltlich, wie Krakauer versicherte. „Die ganze Aktion dauert höchstens zwei Wochen.“
Für Etwashausen bedeutet die Entscheidung praktisch eine Lex Mercedes. Denn außer Autos dieser Traditionsmarke gibt es keine mit Selbstzünder betriebenen Pkw in Etwashausen. Der 260 D ist in Etwashausen sehr beliebt. Sein geringer Verbrauch und seine Robustheit machen ihn zu einem idealen Universalauto. „Das beste ist, dass es kaum Steigungen im Stadtgebiet gibt“, sagte Friedrich Klinke, der Bauleiter der Firma Leonhard Weiss in Etwashausen. „Am Berg schwächelt er doch ein bisschen.“ Vor einiger Zeit wurde sogar erwogen, die Fahrzeuge als Taxi anzuschaffen, aber als die ersten Gerüchte über die Gefahren des Dieselmotors aufkamen, stellte der Stadtrat die Entscheidung zurück.
„Wir können nicht riskieren, dass irgendwann ein Rahmen bricht und das Auto mitten auf der Straße liegenbleibt. Das gefährdet die Insassen und die anderen Verkehrsteilnehmer“, sagte Krakauer. Er hatte in einem älteren Text des in Etwashausen berühmten, inzwischen 88-jährigen Verkehrsforschers Wilhelm Föttingmeyer (er belegte den Mythos über den vierachsigen Schienenzeppelin, vgl. „Etwaige Nachrichten“ Nr. 1/2006) über die Geschichte des Dieselmotors von dem Risiko gelesen.
Klinka, der einen Mercedes 260 D fährt, beschwerte sich über den Erlass: „Ich brauche doch mein Auto. Es hat schon 300.000 Kilometer auf dem Buckel, und bis jetzt ist überhaupt nichts daran kaputtgegangen.“ Nur hin und wieder habe er neue Reifen aufziehen lassen müssen.
Die Frage, ob er für die Zeit, in der sein Auto ihm nicht zur Verfügung steht, ein Ersatzauto bekomme, verneinte die Stadtverwaltung selbst dann noch, als er anbot, dafür Geld zu bezahlen. Sie habe zu viel zu tun; er möge sich an einen privaten Autovermieter wenden, hieß es aus der Behörde.
„Muss das denn ausgerechnet vor Weihnachten sein?“, fragte Egon Pielke, der Wirt des Dorfkrugs. „Ich hole mit meinem Auto immer die Gänsebraten ab, die ich dann am ersten und zweiten Feiertag anbiete.“
„Ach, deshalb schmecken die manchmal so ölig“, witzelte Kranführer Dieter Pohl. Pielke erwiderte mit bitterbösem Blick: „Du kannst ja in der Post essen, wenn dir was nicht passt.“ Im Gasthof zur Post am Markt kostet das Mittagsmenü ungefähr dreimal so viel wie im Dorfkrug.
„Ja, das muss sein“, antwortete Krakauer. „Der Rampenwagen, mit dem die Autos den ‚oberen Stock‘ der Autotransportwagen erreichen können, ist nur geliehen, und der Vertrag läuft am 18. aus.“
„Mein Güterbahnhof ist alkoholfrei“
Als Marktfrau Helene Kurz von der Rückrufaktion hörte, klagte sie an ihrem Stand: „Jetzt ist meine Weihnachtsaktion im Eimer!“ Sie wollte mit einem Korso aus roten 260ern weihnachtliche Stimmung ins Stadtzentrum zaubern. „Verlege sie doch an den Güterbahnhof“, empfahl Güterbahnhofschef Jürgen Vogel. „Da müssen die ja sowieso alle am 16. hin.“
„Keine schlechte Idee“, meinte Kurz, „aber wo stellen wir denn dann den Glühweinstand hin?“
„Glühweinstand? Kommt nicht in Frage! Mein Güterbahnhof ist alkoholfrei“, sagte Vogel.
„Schade“, meinte Genoveva F., die das zufällig auf dem Marktplatz mitgehört hatte.
Am Mittwochabend kam es dann zu dem erwarteten Andrang an der Rampe. Fotograf Reiner Kellner sagte, als die roten 260er wie zufällig hintereinander ganz vorsichtig auf den Autotransportwagen fuhren: „Na, das sieht doch schon richtig aus wie eine Weihnachtsveranstaltung.“
„Nur ohne Glühwein“, bedauerte Genoveva und holte einen Flachmann aus dem Mantel. Vogel, der das aus dem Augenwinkel beobachtete, runzelte die Stirn, schwieg aber. Fritz P. freute sich, dass sein schwarzer Citroen von einem Benzinmotor angetrieben wird. „So viel mehr verbraucht der auch nicht. Und den Berg kommt er prima rauf, sogar bei Schnee.“
„Ohne Schnee kann das ja auch nicht weihnachtlich aussehen“, meinte Kellner.
„Tja, das wird wohl in diesem Jahr nichts mehr“, sagte Genoveva.
„Da spart man sich wenigstens das Räumen. Wir haben hier in Etwashausen ja keinen Schneepflug.“ Vogel, der alte Pragmatiker, wusste aus jeder Situation das beste zu machen.
Autos mit eigener Geschichte
„Wisst ihr noch, wie die Autos bei uns angekommen sind?“, fragte Kurz. „Der alte Friedbert Dünger hat vor zwei Jahren fünf davon in einer Gebirgshöhle entdeckt“ – die EN berichteten, Nr. 148/2013 – „und die Stadt hat die sich dann einfach unter den Nagel gerissen.“
„Ja, ich erinnere mich“, sagte Vogel. „Aber sie haben sie dann zu einem günstigen Preis angeboten, und sie gingen weg wie geschnitten Brot. Was hat die Stadt eigentlich mit dem Geld gemacht?“, fragte er so laut, dass Krakauer, der auch an die Rampe gekommen war, es hören konnte.
„Wir haben damit die Verkehrsinfrastruktur verbessert“, antwortete der Dezernent. Der Marktplatz sei neu gepflastert worden, und einige Straßenlampen seien dazugekommen. Ohne eine Miene zu verziehen, fügte Krakauer hinzu: “Und wir haben in der Hauptstraße Parkuhren aufgestellt.“
„Das nenne ich eine nachhaltige Investition. Erst nehmt ihr den Leuten Geld ab, wenn sie das Auto kaufen, dann wieder, wenn sie mit dem Auto parken“, lachte Vogel. „Gut, dass ich eine Garage habe.“
„Ich habe natürlich den vollen Kaufpreis bezahlt“, sagte Pielke. „Als ich einen von den gefundenen haben wollte, waren sie schon alle weg. Aber jeder, der einen hatte, lobte ihn dermaßen über den grünen Klee, dass ich auch einen haben wollte.“