Abteilwagen entgleist – Prüfungen angeordnet – Akuter Sitzplatzmangel
Etwashausen (Eig. Ber.) – Ein Personenzug ist am Samstag auf der Brücke der Bahnlinie nach Neustadt entgleist. Menschen kamen dabei nicht zu Schaden. Dennoch haben nun alle Fahrgäste unter dem Vorfall zu leiden. Für die Unfalluntersuchung mussten Achsen ausgebaut werden, und das Platzangebot wurde daher stark reduziert.
In den Abteilen der Züge zwischen Wildenranna und Etwashausen herrscht nun drangvolle Enge. Erschütternde Szenen spielen sich vor dem Bahnhof ab. Verärgert sind alle: Diejenigen, denen es gelang, einen der wenigen Fahrscheine zu ergattern, reagieren ebenso verärgert wie die Abgewiesenen. Die einen, weil sie meist stehen oder zwischen anderen Menschen eingeklemmt sitzen müssen, die anderen, weil sie Bus oder Taxi benutzen müssen.
„Das ist ja wohl das Letzte“, schimpfte eine ältere Frau vor dem Empfangsgebäude, wo Fahrdienstleiter Rudolph die aufgebrachten Reisenden zu beruhigen suchte. „Man kann sich wirklich nicht mehr auf diese Bahn verlassen.“ Rudolph suchte verzweifelt nach Erklärungen, dass es sich eigentlich um technisches Versagen handele. „Und jetzt erzählen Sie mir nur noch was von höherer Gewalt“, meckerte sie. Der Beamte hob beschwichtigend die Hand. „Aber nein, Ihnen wird selbstverständlich der Fahrpreis erstattet.“ Oh ja“, entgegnete die Frau. „Das kenne ich. Da kriegt man einen Gutschein, mit dem muss man sich noch ne halbe Stunde am Schalter anstellen, nachdem man hier schon Stunden Verspätung ertragen musste.“
Was war geschehen? Die ersten Untersuchungen des Vorfalls nährten den Verdacht, dass Rostentwicklung an der mittleren Achse des dreiachsigen Personenwagens die Entgleisung herbeiführte. Der Problemwagen wurde an das Ladegleis des Güterbahnhofs rangiert, die Achse ausgebaut und zur Untersuchung geschickt. Sicherheitshalber wurde diese Maßnahme auch bei allen anderen Fahrzeugen ergriffen.
Wegen des erhöhten Drucks auf den verbleibenden Achsen verringerte sich die erlaubte Zuladung, so dass in den mittleren Abteilen der Waggons niemand mehr mitfahren durfte. Als Folge herrschte in den Abteilen über den zwei verbliebenen Achsen drangvolle Enge herrschte. Vor Ort machten sich Bahnchef H. M. und ein Vertreter der bayerischen Achsenfabrik ein Bild von der Situation. „Sie machen das wohl nach dem System Banane?“, fragte M. den verblüfften Manager. „Wie bitte?“, fragte der zurück. „System Banane: Reift beim Kunden“, klärte ihn sein Assistent auf,. „Er will sagen, wir testen nicht
genug, sondern überlassen die Erfahrung dem Kunden.“
Viele Worte wechselten sie nicht mehr miteinander. M. wies seine Juristen an, Schadensersatzforderungen gegen den Hersteller zu prüfen. „Schließlich können wir dem Steuerzahler nicht noch mehr Defizit der Bahn zumuten“, sagte er. Als sich die Bahnwirtschafts-Vertreter wieder in ihre Autos verzogen hatten, kam der graue Lastwagen, und die Schadachsen wurden auf den Güterzug verladen.
„Man muss sich nur mal vorstellen, die Bahn wäre ein Privatunternehmen“, diskutierte die ältere Dame mit Fahrdienstleiter Rudolph. „Die wären längst pleite.“ Da halfen keine Beschwichtigungen mehr. Sie drehte sich um und ging zur Bushaltestelle. Rudolph murmelte nur noch etwas von der Achse des Bösen. „Gut, dass es in zwei Wochen wieder rum sein soll“, dachte er sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
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