Nummer 92: Spezialgetriebe und Pufferteller

Überraschende Entdeckungen bei Märklin-Klassikern

Von Einheit keine Rede: Die Elektroloks der Nachkriegszeit zeigen sich nicht nur bei der großen Bahn höchst unterschiedlich. Auch Märklin hat bei den meistgebauten Typen E 10, E 40 und E 41 experimentiert. Hier die Vergleichskandidaten im Bahnhofsvorfeld von Etwashausen. Linkes Gleis hinten E 40 (3040), vorn E 41 grün (3037), mittleres Gleis hinten E 41 grün neu (39410), vorn 140 (3156), rechtes Gleis hinten E 41 blau (3034), vorn E 10 (3039).

Etwashausen, 1. November (Eigener Bericht) Geradezu eine Invasion von Einheits-E- Loks der 50er und 60er Jahre erlebt Etwashausen in diesen Tagen. Vor dem Dauerein- satz werden sie im Betriebswerk noch einmal auf Herz und Nieren untersucht. Dabei sind einige Überraschungen zutage getreten. Ungenannt bleiben wollende Informanten steckten der Reporterlegende Fritz P. die größte: Es gab offenbar auch bei Märklin den signifikanten Bauartunterschied zwischen E 40 und E 10: das Getriebe.

Tatsächlich wollten die Göppinger Modellbahnbauer die grüne Güterzuglok E 40, Bestellnummer 3040, mit einer langsameren Übersetzung ausstatten als die blaue Schnellzuglok E 10 (3039). Die beiden Loks sahen äußerlich, von der Farbe des Gehäuses und der Betriebsnummer abgesehen, gleich aus. So hat das Modell der E 40 am Dachaufsatz auch dort Lüftergitter, wo eigentlich keine hingehören.
Die unterschiedlichen Getriebe kündigte Märklin zur Spielwarenmesse 1965 in der Februar-Ausgabe des Märklin Magazins an: „Damit auch die bei den Lokomotiven des Großbetriebs vorhandenen Geschwindigkeitsunterscheide verwirklicht werden, bekam die Lokomotive 3040 ein Getriebe mit geändertem Übersetzungsverhältnis; sie ist damit etwas langsamer als die Type 3039“, heißt es da. Und in der neuesten Ausgabe 5/09 wird daran erinnert. Im Katalog von 1965 war davon schon nicht mehr die Rede. In Etwashausen wurden unter den Augen von Fritz P. je eine E 10 und eine E 40 auf die Seite gelegt, damit der unmittelbare Getriebevergleich möglich wurde. Allerdings sind keine Unterschiede zu erkennen.

Von unten sieht man keinen Unterschied im Getriebe. Bei der E 10 (oben) ist nur das zweite Zahnrad von rechts sauberer als bei der E 40.

Was liegt also näher als ein Geschwindigkeitsvergleich? Er ging bei den in Etwashausen vorhandenen Modellen unentschieden aus. 3039 und 3040 brauchten genau 22 Sekunden für die große Runde. Das bedeutet: Im Etwashausener E-Lok-Bestand befindet sich keine E 40 mit langsamer Getriebeübersetzung Tatsächlich sollen aber „langsame“ Loks ausgeliefert worden sein. Es gibt Märklinisten, die sich erinnern, in ihrer Kinderzeit eine solche E 40 besessen und sich über die für Spielbahner zu geringe Höchstgeschwindigkeit geärgert zu haben.

Die mündliche Überlieferung zu dem Modell 3040 geht wie folgt weiter: „Händler sahen sich wegen der langsamen E 40 mit Nachbesserungsforderungen ihrer Kunden konfrontiert. Als sich die Beschwerden häuften, gab Märklin das geänderte Übersetzungsverhältnis auf.“ Es verschwand auch der fahrtrichtungsabhängige Lichtwechsel.

Bei dem E 40-Nachfolgemodell für die Epoche IV, der ozeanblau-beigen 140, gab es weder Lichtwechsel noch „langsames“ Getriebe. Im Gegenteil, in der nach wie vor vorbildgetreu beschrifteten Lok arbeitete inzwischen ein Trommelkollektormotor, der jedenfalls in Etwashausen für rekordverdächtige Geschwindigkeiten sorgt: 20 Sekunden brauchte das Modell mit der Bestellnummer 3156 für die große Runde.

Der Kran lupft das Gussgehäuse der 3156. Darunter offenbart sich der Trommelkollektormotor, mit dem sie deutlich schneller fährt als ihr Vorgänger 3040, obwohl sich das Aufgabengebiet eigentlich nicht geändert hat.

Märklin verkaufte die E 10/E 40-Modelle damals als Premium-Qualität. Angesetzte Leitungen, „vollendet ausgeführte Beschriftungen“ (Katalogtext) zeichneten sie neben dem wechselnden Spitzenlicht aus. Die E 40 hatte vorübergehend einen Puffertellerwarnanstrich, von dem im Katalog nicht die Rede war.

Weiße Ringe an den Puffern erhöhen die Sichtbarkeit der Lok bei schwierigen Sichtverhältnissen.

Das Modell der E 41 dagegen, im 65er Katalog praktisch als vereinfachte Ausführung abqualifiziert, hat etwas, was man bei vielen Lokomotiven auch mo- dernster Produktion noch heute vergeblich sucht: unterschiedliche Puffer. Die rechten sind leicht gewölbt, die linken sind flach, wie im Großbetrieb lange üblich.

Das besondere den alten Modellen der E 41: Die linken Pufferteller sind flach, die rechten gewölbt. Wie beim Vorbild.

Überhaupt ist ja die alte E 41 ein sehr dankbares Vorbild für einen Modellbahnhersteller. Viele Farbvarianten gibt es von ihr durch mehrere Epochen, immer wieder war sie Versuchsträger für Lackierungen. In Etwashausen trägt das Modell der blauen E 41, rund 45 Jahre alt und durch die Höhen und Tiefen einer elektrischen Eisenbahn gestählt, zur Zeit versuchshalber einen „neuen alten“ Dachstromabnehmer. Er macht selbst aus diesem stark bespielten Exemplar noch einen Hingucker. Das Modell 3034 war die langsamste Lok im Wettbewerb mit 25 Sekunden für eine Runde.
Alle Werte wurden mit warmgelaufenen Motoren bei „Vollgas“, fliegendem Start und im Analogbetrieb gemessen. Der Strom kam aus der Oberleitung. Die neue grüne E 41 mit Softdrive-Sinus-Motor, die sozusagen außer Konkurrenz mitlief, erzielte mit 22 Sekunden dieselben Werte wie die 3039/3040-Loks, jedoch kam der Digital-Strom ungeachtet des angelegten Dachstromabnehmers aus dem Mittelleiter. Irgendetwas muss dieses Lokomotiv-Design in seiner Schlichtheit haben, das den Lokomotiven eine zeitlose Attraktivität verleiht.

Der rote Dachstromabnehmer macht auch die 45 Jahre alte blaue E 41 wieder zum Hingucker.

Von der langsamen E 40 will heute niemand mehr etwas wissen. Die Sammlerkataloge verzeichnen sie nicht. Die Märklin-Ersatzteillisten verzeichnen keine unterschiedlichen Zahnräder mehr für die alte E 10 und die alte E 40.

Vielmehr glänzen sie durch falsch eingeordnete Explosionszeichnungen. Wer eine der beiden Bestellnummern in der Märklin-Bibliothek aufruft, sieht ein Bild der E 41. Ruft er die Bestellnummer 3034 oder 3037 oder andere Drehgestell-E-Loks der ersten Generation auf, sieht er dagegen ein Bild der E 10/E 40. Das ist nicht erst 2009 im Serviceteil der Internet- Präsenz so, das war schon 1989 im Märklin-Magazin so. Dort prangt als Foto die oben erwähnte 3156, daneben die Explosionszeichnung mit der kürzeren Karosserie der E 41.
Werten wir es als Zeichen dafür, wie selten diese Seiten aufgerufen werden müssen. Es ist nicht zu- letzt die Unverwüstlichkeit dieser Märklin-Klassiker, die ihnen eine ebenso lange und erfolgreiche Produktkarriere wie dem Vorbild bescherte. Es zieht mit verkehrsroter Karosserie heute noch internationale Schnellzüge über die Berliner Stadtbahn zum Hauptbahnhof.

... berichtet regelmäßig in den “Etwaigen Nachrichten” (EN) über die Ereignisse in Etwashausen. Sie erreichen Fritz P. per Elektronischer Post über das Kontaktformular oder über folgende Anschrift:

Reporterlegende Fritz P.
Etwaige Nachrichten
Hauptstraße / Markt
Etwashausen

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