Nummer 188: Turmtriebwagen ohne Modellbahnkupplung zieht Güterzug-
Etwashausen (Eigener Bericht) Ein Leihfahrzeug aus Etwashausen hat am Sonnabend beim Märklin-Insider-Stammtisch Geschichte geschrieben. Ein Turmtriebwagen der Nenngröße H0 zog einen Güterzug, obwohl am Triebwagen keine Modellbahn-Kupplung montiert war. Die Verbindung wurde auf Zugfahrzeugseite nur durch die sehr kleine Nachbildung des Hakens der Schraubenkupplung der „großen“ Bahn hergestellt und aufrechterhalten.
Der kleine Haken der Nachbildung der Schraubenkupplung an der Pufferbohle des Turmtriebwagen-Modells. © alle Fotos: Thomas Rietig
Wie so oft in der Forschungsgeschichte erschließen sich hochinteressante Erkenntnisse, wenn die Beteiligten es überhaupt nicht erwarten, oder durch einen zunächst unglücklich scheinenden Zwischenfall. So auch hier, bei einem ganz normalen Modellbahner-Treffen am 09. September in der Berliner Zunftwirtschaft.
Wie immer, war vorher ein Thema kommuniziert worden, an dem die Mitglieder die mitzubringenden Loks und Wagen ausrichten konnten. Diesmal hieß es „Telex-Kupplung“, eine von Märklin 1958 in der Nenngröße H0 eingeführte elektromagnetische Kupplung an Lokomotiven, mit denen Waggons ferngesteuert an jeder beliebigen Stelle einer Anlage abgekuppelt werden können.
Mehr Wissen über die DAK bei der Vorbildbahn
Dazu gab es einen kleinen Vortrag mit Film zur gerade laufenden Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) bei der „großen“ Bahn. Sie soll mit Milliardenaufwand in einigen Jahren flächendeckend in Europa die herkömmliche Schraubenkupplung aus Haken und Ösen und Bremsleitungen ablösen. Damit würde endlich eine Technologie des 19. Jahrhunderts durch moderne digitale Systeme ersetzt und neben gewaltigen Rationalisierungseffekten auch die Arbeit der Rangierer extrem erleichtert.
So sieht die Digitale Automatische Kupplung bei der großen Bahn aus.
Danach war Spielen angesagt, und wie bei jedem Stammtisch drehten nicht nur Lokomotiven mit Telex-Kupplung ihre Runden und rangierten fröhlich auf der Stammtisch-Anlage. Auf speziellen Wunsch agierte auch ein Turmtriebwagen. Das ist ein Bahndienstfahrzeug zur Reparatur und Wartung von Fahrleitungen der Elektrolokomotiven. Märklin hat vor einigen Jahren ein Modell mit komplexen Funktionen herausgebracht. Dazu gehören unter anderem ein elektronisch heb- und senkbarer Stromabnehmer und eine heb-, senk- und drehbare Arbeitsbühne.
Nach der Vorführung der Funktionen konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Stammtischteilnehmer auf andere Fahrzeuge, und es wurde übersehen, dass der Turmtriebwagen (TTW) sich ganz langsam, still und heimlich einem abgestellten Güterzug näherte und auf ihn auffuhr. So sanft, wie das geschah, kam es nicht zu einer Entgleisung, und als der Fahrdienstleiter den TTW wieder zurückholen wollte, stellte er verblüfft fest, dass dieser den gesamten Zug am Haken hatte und damit losfuhr, als wäre das ganz normal. Ist es aber nicht, denn der Turmtriebwagen hat serienmäßig keine Modellbahn-Kupplungen, weil er auch im Großbetrieb oft alleine unterwegs ist. (Sie lassen sich aber nachrüsten.)
Er trägt aber an der Pufferbohle Nachbildungen der Hakenkupplung des Vorbilds. Und genau in einem dieser Haken hatte sich der führende Waggon „verhakt“, aber so, dass sowohl seine herkömmliche Relex-Kupplung als auch die Puffer beider Fahrzeuge freies vertikales Spiel hatten. Daraus ergab sich, dass der originelle Zug glatt durch die Kurven kam und zur Begeisterung der Zuschauer mehrere Runden auf der Stammtischanlage drehte. „Wenn dir das gestern jemand erzählt hätte, dass das funktioniert, du hättest es nicht geglaubt“, meinte einer. Aber nun ist es dokumentiert.
Auch die Fachleute in Etwashausen wären nicht einmal auf die Idee gekommen, so etwas auszuprobieren. Dabei gibt es seit Jahren schon viele Lokomotiven, bei denen der Kupplungshaken des Vorbilds nachgebildet ist. Nur ragen darunter die verhältnismäßig großen Modellbahn-Kupplungen hervor, sodass die Waggonkupplungen gar nicht an die kleinen Haken heranreichen. Deshalb liegen diese auch etwas höher über dem Gleisniveau. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, war das „heimliche“ automatische Andocken des TTW an den Waggon nur deshalb möglich, weil der Kupplungsbügel des Rungenwagen-Modells aus dem Jahr 1986 nach einem vorausgegangenen Entkupplungsvorgang nicht wieder in seine Ursprungsstellung zurückgefallen war, sondern hochgeklappt verharrte, bis er von dem Triebwagen angestoßen wurde und auf den kleinen Haken herunterfiel.
Nachdem die Fahrzeuge wieder im Heimat-Bw angekommen waren, versuchten Güterbahnhofschef Jürgen Vogel und Rangierer Hemmschuh-Kalle das Ereignis nachzustellen, denn nur, wenn sie wiederholbar sind, können Sternstunden der Forschung zu belastbaren Ergebnissen führen. Und siehe, es klappte.
Ein Schraubendreher drückt den Handschalter des Entkupplungsgleises mit so viel Druck nieder, dass der Bügel hochsteht. Es ist aber nur so viel, dass ein schweres Triebfahrzeug die Brücke in der Gleismitte leicht herunterdrückt, also „stärker“ ist als der Schraubendreher.
Allerdings musste das Ankuppeln entweder händisch erledigt werden oder mit einer speziellen Vorrichtung an einem Gleis, das eigentlich zum Entkuppeln und nicht zum Ankuppeln vorgesehen ist. Es handelt sich um einen Schraubendreher, der auf den Handschalthebel dieses Gleises gelegt wird und am darauf stehenden Waggon den Kupplungsbügel so anhebt, dass er über den kleinen Haken fallen kann, wenn das Zugfahrzeug nah genug dran ist. Dieses ist nämlich so schwer, dass es bei der Fahrt über das Gleis den Druck des Schraubendrehers aushebelt und die Brücke des Entkupplungsgleises und damit auch den Waggon-Kupplungsbügel senkt. Danach ist der Waggon angekuppelt und die Fahrt kann losgehen. Es funktionierte auch in Etwashausen, und die halbautomatische Ankupplungsprozedur wurde im Video festgehalten.
Für die Etwashausener Bahnhofscrew und die Mitglieder des MIST1 sagte Güterbahnhofschef Vogel: „Wir haben den ersten Schritt beweiskräftig vollzogen, um die Haken- und Schraubenkupplung auch im H0-Maßstab ihrem wirklichen Verwendungszweck zuführen zu können.“ Und das genau zu einem Zeitpunkt, da sie im Großbetrieb zum Auslaufmodell werden könnte. Aber das ist ja modellbahntypisch.