Nummer 196: Lokomotiven der Baureihe E 63 zusammen in Etwashausen –
Die beiden Schwestern im Güterbahnhof. © Foto: Etwaige Nachrichten
Etwashausen, 7. Dezember (ssl) Seltenes Zusammentreffen in der Stadt: Zwei nahezu gleich aussehende Lokomotiven der Baureihe E 63 haben sich den Fotografen gestellt und einen Meilenstein der Modellbahngeschichte wieder erlebbar gemacht. Fachleute standen den zahlreichen Besuchern des Events Rede und Antwort. „Wir wollten dem eher unscheinbaren Lökchen mit dem inszenierten Auftritt ein kleines Denkmal setzen“, betonte Kulturdezernent Friedbert Dünger auf Anfrage der „Etwaigen Nachrichten. „Ich habe auch gleich die Patenschaft für die beiden Maschinen übernommen.“
Das Märklin-Modell der E 63 hat sichmehr als vier Jahrzehnte lang im Angebot des Herstellers gehalten und schrieb damit ein Stück Geschichte der „elektrischen Eisenbahn“, wie die Modellbahn umgangssprachlich genannt wurde, als 1953 die erste E 63 auf den kleinen Schienen stand. Damals ging es nicht primär um die maßstab- und detailgenaue Abbildung des Vorbilds, sondern ums Spielen und ein bisschen auch darum, Kindern die Grundzüge der Elektrotechnik nahezubringen in Zeiten, da das Wirtschaftswunder und damit die Elektrifizierung auch der Privathaushalte gerade Fahrt aufnahm.
Die E 63 haben einen robusten Antrieb mit Zahnradgetriebe auf alle drei Achsen, die Stromzufuhr war wählbar über den Mittelschleifer oder den Dachstromabnehmer, und das Licht wechselte je nach Fahrtrichtung. Das war für eine Modelllokomotive der unteren Preisklasse seinerzeit eine erstklassige Ausstattung.
Gestartet als CE 800
Vor der Lokomotive stand Bahnforscher Wilhelm Föttingmeyer, der zur Geschichte des Schienenzeppelins entscheidende Forschungsbeiträge geleistet hat. Er kannte sich auch bei der grünen Lok aus: „Das erste Modell der E 63 erschien mit der Bestellnummer CE 800, aber schon bald wurde diese in 3001 geändert“, dozierte er. „Sie stand eigentlich immer im Schatten der Dampflokbaureihe 89, die mit der Bestellnummer 3000, später 30000, in millionenfacher Stückzahl in die Kinderzimmer drängte und als die weltweit meistgebaute Modellbahnlokomotive gilt.“
Von der CE 800 erschienen mehrere Varianten in Grün, Braun, Rot, Dunkelbraun, mit unterschiedlichen Stromabnehmern auf dem Dach und mit mehr oder weniger aufwändiger Ausstattung. Dazu kamen zahlreiche Unikate, die ihre Besitzer durch eigene fantasievolle und „Hätte-es-aber geben-können“ Lackierungs- und Beschriftungsvarianten selbst schufen.
Die 3001 bot sich dafür an, da sie bis heute wegen der großen produzierten Stückzahlen nicht zu einem wirklichen Wertobjekt wurde. Zumindest bei den Spielern unter den Modellbahnern ist ihre Attraktivität aber wegen ihrer vielseitigen Verwendbarkeit bis heute ungebrochen.
Ein bisschen Öl ins Feuer
Hier mischte sich Lokführer Wieland Hellmich ein. „Da muss ich doch mal ein bisschen Öl ins Feuer gießen“, sagte er mit wissendem Blick. „Wenn die E 63 mit der langen Nase voraus einen Zug zieht und gleichzeitig der Stromabnehmer von unten auf den Fahrdraht drückt, springt sie sehr leicht aus der Kurve.“ Das liege daran, dass sowohl der Zug hinten dran als auch die Kräfte von „hinten oben“ den Bug der Lok und vor allem die erste Achse zu sehr entlasten und den Schwerpunkt nach hinten verschieben. Daher „Verstärkt wird diese Unwucht noch, wenn der analoge Umschalter durch einen leichteren Decoder ersetzt wird“, sagte Hellmich.
In Etwashausen sind momentan mehrere Exemplare des E-63-Modells stationiert, darunter zwei grüne mit der Bestellnummer 3001. Um die geht es im Güterbahnhof. „Die vordere auf dem Bild hat ihr heutiger Besitzer Anfang der 1970-er Jahre von einem Studienkollegen als Dank dafür erhalten, dass er beim Renovieren einer Mansarde im Frankfurter Osten mitgeholfen hat“; berichtete Dünger im Interview.
„Da er selbst schon eine braune hatte, lag die grüne lange Zeit ungenutzt im Regal“, fuhr er fort.Er erinnere sich aber gerne daran, wie es genau diese braune gewesen sei, wegen der er seine damalige Anlage überhaupt mit einer funktionsfähigen Oberleitung ausgestattet hatte. Das hatte damals den Vorteil, dass man zwei Züge unabhängig voneinander auf demselben Gleis fahren lassen konnte.
Im Digitalzeitalter
Auch heute, wo so etwas auch ohne Oberleitung selbstverständlich ist, weil das Digitalzeitalter längst in Etwashausen Einzug gehalten hat, pflege der Besitzer die relative Unberührtheit des grünen Exemplars sorgsam weiter. „Allerdings lässt er sie nicht in der Schachtel versauern. Leichte Nutzungsspuren erkennt der Fachmann an den Rädern und am Dachstromabnehmer.“ Aber sie fahre auch nach knapp 70 Jahren „wie eine Eins“. Obwohl analog angetrieben, könne sie auch im Langsamfahrbetrieb überzeugen und schalte ruckfrei um, vorausgesetzt, es ist genug Strom auf der Oberleitung. Denn sie wird, „wie sich das gehört“, von oben mit Strom versorgt.
Nicht so das zweite Exemplar. Es gelangte erst vor wenigen Jahren nach Etwashausen und hat höchstwahrscheinlich ein bewegtes Leben hinter sich. „Jetzt ist es eine Art Erprobungsträger. Als die Lok hier ankam, hatte sie schon ein seltsam neu lackiertes Dach“, sagte Dünger. An den Dächern etlicher Modelle aus den 1950-er Jahren blätterte häufig und meist ohne nennenswerte Fremdeinwirkung der Lack. Der Stromabnehmer, der unter Sammlern alter Modelle relativ hoch gehandelt wird, weil er nur an der E 63 und auch nur in den ersten Jahren zum Einsatz kam, war verbogen. Auf dem Dach sitzt jetzt ein (vorbildgerechterer) des Herstellers Sommerfeldt. Für den Vortrieb sorgen ein Fünfpoler mit einem Permanentmagnet und für Umschalten und Lichtfunktion ein Decoder. Die Oberleitungs-Stromversorgung wurde aufgegeben. Beide Kupplungshaken ergänzen Prallplatten montiert, sodass das Rangieren weniger störanfällig ist. Weitere Änderungen, etwa an der Beleuchtungsanlage, sind denkbar.
Der Erprobungsträger zieht im täglichen Vorortverkehr in Etwashausen einen Vorortexpress und ist nach wie vor unverwüstlich, auch wenn hin und wieder der eine oder andere Frontscheinwerfer aussetzt. Nach all den Erzählungen und Diskussionen legte Hellmich den Hauptschalter um, und mit den Worten: „So, und jetzt steigen wir ausnahmsweise mal im Güterbahnhof in den Sonderzug“, beendete der Kulturdezernent die Veranstaltung.
